21. Dezember 2013

Ich habe zwei Kinder, ich habe keine Zeit zum Hassen – My beautiful country

Die Brücke am Ibar

Quelle


Ein paar Mal musste ich schon schlucken, aber bei dieser Szene schnürt es mir regelrecht die Kehle zu.

Nana ist höchstens sieben oder acht Jahre alt und bekommt von einem anderen Kind zu hören:
„Moj tata kaze da si ti siptarsko kopile.“ (Mein Vater sagt, Du bist ein albanischer Bastard).

„Ja ne znam sta to znaci“, sagt Nana. (Ich weiß nicht, was das heißt.)

Aus diesem Grund wird ihr und ihrer Mutter die Zuflucht in einem Keller verwehrt, als die NATO im Jahr 1999 wieder einmal einen Luftangriff im Kosovo startet.

Die serbische Nachbarin möchte keine Albaner mehr in ihrem Keller haben und schickt sie hinaus.

Es ist dunkel, alles ist grau, der Wind weht, die Sirene ist zu hören.
Nanas Mutter weiß nicht so recht wohin, aber Nana tanzt im Wind wie eine Ballerina, breitet ihre Arme aus und wirbelt herum. Sie weiß wohl auch nicht, was ein Luftangriff ist.


„Ah, ist das wieder so ein Film, in dem die Serben die Bösen sind?“, fragt mein Umfeld immer wieder.

Ich glaube nicht. Die Regisseurin und Drehbuchautorin Michaela Kezele aus München ist das Kind einer Serbin und eines Kroaten und wenn man den FIlm gesehen hat, dann weiß man, dass es nicht um Gut oder Böse geht. Kommen böse Serben vor? Ja, gewiss.
Kommen gute Serben vor? Ja, gewiss.

Sind alle Albaner im Film die Opfer? Einige schon, andere schwören Rache und töten, aber es findet keine pauschale Zuweisung von Schuld statt.



neuepresse.de Kezele gewinnt Preis für Die Brücke am Ibar


Im Mittelpunkt scheint nicht einmal so sehr die zarte Liebesgeschichte zwischen der Serbin Danica (gespielt von der wunderbaren Zrinka Cvitesic, die schon in „Na putu/Zwischen uns das Paradies“ glänzte) und dem Kosovo-Albaner Ramiz (Misel Maticevic aus Berlin) zu stehen, sondern das Leben in einer menscheinfeindlichen Umgebung, die Uranmunition der NATO, die anfangs leugnet, radioaktive Abfallstoffe zu verwenden und die Zerrissenheit der Stadt Mitrovica, die durch den Fluss Ibar in zwei Teile geteilt wird, die wie Paralleluniversen nebeneinander existieren.

Serben und Albaner wagen sich jahrelang nicht auf die andere Seite.

Danica hat abgesehen von den wiederkehrenden Luftangriffen andere Probleme. Ihr Mann ist gestorben, der jüngste Sohn spricht seitdem nicht mehr, singt im Chor das Kinderlied „Najljepsa je zemlja moja“ (Mein Land ist das schönste) nicht mit (An dieses Kinderlied ist der Titel des Films angelehnt).

Der ältere Sohn Vlado schwänzt die Schule, raucht und stiehlt. 
Zu allem Überfluss schickt Belgrad keine Witwenrente mehr und dann findet sie noch einen verwundeten „Feind“ in ihrem Haus. Soll sie ihn ausliefern? Bringt sie sich und die Kinder in Gefahr? 



br.de / Ramiz und Danica



Wie bereits in ihrem ersten Film „Milan“, der richtig unter die Haut geht und als eine Art Schwesternfilm von „My beautiful country“ angesehen werden kann, da teilweise dieselben Schauspieler engagiert wurden, inszeniert Kezele „Die Brücke am Ibar“ als Antikriegsdrama, das die Grausamkeit des Konflikts auf der zivilen Ebene aufzeigt. 
Die Protagonisten Danica und Ramiz wagen das Unerhörte in einer Gesellschaft, die gerade dazu auffordert, ja verlangt, sich vom anderen abzuschotten und zu trennen und ich denke, das allein ist schon für Viele eine Provokation, aber warum sollte es nicht möglich sein?

Ich würde zu gerne wissen, wie viele Mischehen es derzeit im Kosovo gibt? Keine? Weil alle Paare einer MIschehe sicherlich geflohen sind. Wenn sie es nicht sind, sind sie tagtäglich bestimmt Anfeindungen ausgesetzt.

Ziemlich zu Ende des Films fragt Danicas Nachbarin, die einst Miss Pristina war: „Du musst sie doch auch hassen wie ich!?“

„Ich habe zwei Kinder.“, sagt Danica, „Ich habe keine Zeit zum Hassen.“ 


„My beautiful country“ hat zurecht zahlreiche Preise abgeräumt und läuft derzeit in ausgewählten Kinos.

In einer Nebenrolle ist der legendäre Bata Zivojinovic zu sehen. 

Fazit: Drama, das niemanden mit Herz kalt lässt, das dennoch auch einige Lacher bringt (Prostituierte, koje „ne puse“, mada je ocigledno cime se bave, nein die Deutschen haben den Witz nicht verstanden, da Original mit Untertiteln) und teils schaurig schöne Bilder. Unbedingt ansehen!



Trailer:



Radiointerview mit Michaela Kezele



Interview Misel Maticevic:


 

P. S.: Den Film haben übrigens eine Agnostikerin mit orthodoxen Eltern (meine Wenigkeit), eine Kroatin, die aus der Kirche ausgetreten ist und eine religions- und politikkritische Iranerin gesehen. Die 3 wieder „vereint“.


18. Dezember 2013

Fast schon vom Balkan abgewandt

Nachricht eines Lesers an mich

Heya Snježana,
ich habe mich die letzten Tage durch Deinen Blog und die Facebookseite geklickt und habe das Bedürfnis Dir ein paar Zeilen zu schreiben.

Vielleicht nur ganz kurz zu mir: Ich bin 71´er Jahrgang, in Wuppertal geboren und bin laut meinem Pass ein Kroate. Ich hatte bis zum Krieg keinen wirklichen Bezug zu meiner "Heimat". Natürlich sprachen wir zu Hause jugoslawisch und jedes Jahr war ich ich "unten" im Urlaub. Ich freute mich auch jedes mal meine große Familie wieder zu sehen. Während des Krieges war ein Teil dieser Familie in der Wohnung meiner Eltern als Flüchtlinge untergekommen. Ab diesem Zeitpunkt fing ich an ein sehr einseitiges und negatives Bild von den Serben zu zeichnen. Persönliche Erfahrungen vor und nach dem Krieg bekamen eine neuen Bedeutung und unterstrichen meine Einstellung.

Heute, etwas belesener und informierter, sieht das ganz anders aus. Ich stelle fest wie sehr im mich meiner Herkunft entfremdet habe, weil ich dieses ganze nationalistische Geseier einfach nicht mehr ertragen möchte. Und da schließe ich alle Nationen aus Ex-Jugoslawien mit ein. Ich kriege regelmäßig streit mit meinem Vater wenn er über Serben hetzt und kroatische Kriegsverbrecher als Volkshelden darstellt.

Ich denke, dass Du gut verstehst was ich meine, denn ich möchte mich nicht über meine Situation auslassen sondern etwas zu Dir und Deinem Blog bzw. Facebookseite schreiben.

In Deinem Blog schreibst Du Dinge die mir immer auf der Seele lagen, ja regelrecht brannten, ich aber zu müde oder zu resigniert war um sie auch in diesem Maße wie Du es tust auszusprechen. Deswegen möchte ich dass Du weißt, dass ich Dich für Deinen Mut und Durchhaltevermögen regelrecht bewundere, und es mich sehr freut dass jemand versucht die schönen, verrückten und urtümlichen Seiten dieser Nation(en) wieder aufzuzeigen.
Ich für meinen Teil hatte mich schon fast vom Balkan abgewendet. Zu sehr hat mich die Korruption, das Faschistoide und diese unglaubliche Uneinsichtigkeit der Leute abgestoßen. Um so mehr freut es mich dann sowas wie deinen Bog zu lesen.
Es tut mir in der Seele weh zu lesen, dass Du dafür auf das übelste beschimpft wirst und hoffe sehr dass Du dir eine dicke Haut hast wachsen lassen, an der sowas in Zukunft von dir abprallen wird. Es mag dir vielleicht nicht so erscheinen...aber was Du da tust ist wichtig und gut!

Ganz liebe Grüße i sve najbolje za Tebe i tvoju Familju.



D.

Was am schwersten war - Momentaufnahme


Mein Onkel Miro schrieb mir Karten vom Meer, große Hotels waren vorne abgebildet oder die glänzende Adria. Er hat ein gutes Herz.

Suncanih pozdrava schrieb er (sonnige Grüße).
Er war viel auf dem Bau unterwegs und reiste den Jobs quer durch Jugoslawien hinterher.
Er ist fleißig, sagt seine Schwester, meine Mutter.
500 kg Pflaumen und Zwetschgen haben sie an einem Tag vom Boden gesammelt.

Mein Onkel Miro trägt den Frieden (mir) in seinem Namen, aber der Frieden flüchtete vor dem Krieg und überließ Miro jahrelang der Gewalt.

Mein Onkel Miro liegt nun im Krankenhaus, wiegt keine 50 kg mehr.

Alkohol sagt meine Mutter Nada, die die Hoffnung in ihrem Namen trägt (Nada=Hoffnung).

„Warum trinkt er so viel?“, frage ich sie, „War er im Krieg an der Front?“

„An der vordersten“, sagt die Hoffnung, die keine Hoffnung mehr hat, dass der Frieden dem Alkohol entsagt.

„Er müsste zum Psychiater.“, merkt die Hoffnung an, „Aber du weißt wie die unten sind, die verstehen ihn nicht. Nur ich verstehe ihn, ich sage ihm immer, lass die Flasche. Aber dann starrt die Tuga (Trauer) aus seinen Augen und er sagt: Ich will ja, aber ich kann nicht vergessen. Weißt du, was am schwersten war, Hoffnung? Die Gedärme meiner Freunde auf dem Feld aufzusammeln, das war am schwersten.“

Milan - I do not know what you are fucking saying man. - Kako neznas?


Kurzfilm der Münchener Regisseurin Michaela Kezele.

Bewegend.

Links:

Grand Prix für Milan

Artikel auf ARTE


Spiegel





31. Oktober 2013

Religächerlich – Vergewaltigte Engel, jungfräuliche Geburten, Laufen über Wasser und sprechende Schlangen

Ist Religion es wert, in ihrem Namen zu töten?

Wäre der Krieg in Jugoslawien ausgebrochen, wenn alle Republiken dieselbe Religion gehabt hätten?

Wäre er unter Umständen anders verlaufen?

Ist Religion lächerlich?

Bill Maher, den ich sowieso liebe, präsentiert eine Doku, die provoziert, aber grundlegende Fragen aufwirft, Ungereimtheiten entlarvt und Religion sehr humorvoll hinterfragt.


Trailer:



Ganze Doku:




Bill Maher, jetzt liebe ich dich noch mehr.




30. Oktober 2013

„I am your bitch of the day“, sagt Jane Elliott...


 Wir saßen schön gemütlich zusammen und sprachen über Gott und die Welt und aus irgendeinem Grund landete die Konversation bei den Kindern und deren späteren Partnern.

Meine Gesprächspartner waren orthodox, sie haben zwei Söhne im Teenageralter.

„Und wenn Dragan sich in eine Moslemin verliebt? Würdest du das akzeptieren?“, fragte ich.
„Müsste ich wohl, aber ich würde ihm davon abraten.“
„Warum?“
„Erstens gibt es so viele Mädchen und zweitens muss das nicht sein, das gibt nur Probleme.“
„Welche Probleme?“, fragte ich nach.
„Na, sie haben dann verschiedene Religionen und man kann ja Konflikte im Voraus schon vermeiden, indem man es erst gar nicht soweit kommen lässt.“
Solche Unterhaltungen habe ich in meinem Bekannten- und Freundeskreis zu Genüge geführt und immer hieß es: „Ich bin kein Rassist, natürlich habe ich Freunde der anderen Religion.“ (Siehe Balkan burning).
Nun gut, mag ja sein, dass dies stimmt, aber ich erlebe es so oft, dass diese Art von Freundschaft ihre Grenzen hat. Wenn ich mich so umsehe, dann haben sagen wir 80 % der Menschen mit Wurzeln aus Exyu Partner, die derselben Religion angehören und viele davon schließen aus, es anders zu handhaben. Der Rassismus unter Exjugoslawen floriert und hat die meisten infiltriert, er wird versteckt und unterschwellig gelebt.
In letzter Zeit verfolge ich die Diskussionen um Flüchtlinge aus Afrika, die vor Italiens Küsten ertrinken oder die keiner so Recht im Land haben möchte. Die Schweiz präsentiert sich als äußerst rassistisch, die Schweizer kämpfen teilweise erbittert gegen neue Asylantenheime und auch Deutschland lässt verlauten, es tue seine Pflicht und nehme mehr Flüchtlinge auf, als Italien.
In Italien wurde ein deutscher Kapitän, der Ertrinkende vor Italien gerettet hat, der Schlepperei angeklagt. Juristisch wäre es also richtig gewesen, sie sterben zu lassen.
Wenn ich frage, wer von den Menschen aus Exju schon mal in Deutschland rassistisch behandelt wurde, dann kommen sehr wenige Stimmen und auch ich muss sagen, dass mir das bewusst nicht widerfahren ist. Das Traurige allerdings ist, dass die Serben, Kroaten, Bosnier oder wer auch immer schlimmere Rassisten sind, als ich es je in Deutschland erlebt habe, daher greife ich das Thema auf.
Sie diskriminieren sich untereinander, wie sie es von anderen sicher nie tolerieren würden und das obwohl sie per definitionem zur selben Rasse gehören (und da bringen auch die Diskussionen nichts, in denen es darum geht, welches Volk welches andere Gen hat und wer von wem abstammt und welche Marker einen Kroaten oder Serben ausmachen), aber leider kann man auch auf Basis der Volkszugehörigkeit und/oder Religion rassistisch sein (Beispiele Thompson & Baja Mali Knindza).
Ich möchte heute daher eine Frau vorstellen, die ich sehr bewundere und die Zeit ihres Lebens gegen Rassismus kämpft und eindrücklich zeigt, was Rassismus ist und wie er funktioniert.
 Sie heißt Jane Elliott. Im Jahr 1968, als Martin Luther King starb, musste die Lehrerin ihren Schülern erklären, warum er getötet wurde. Sie führte daraufhin ein Experiment durch und teilte ihre Schüler in die Gruppen „braune Augen“ und „blaue Augen“ ein, in der die Kinder mit den blauen Augen rassistisch behandelt wurden. Sie sagt, dass Menschen für ihre Hautfarbe nichts können, genauso wenig wie für ihre Augenfarbe und dass es daher keinen Sinn macht, sie auf Basis dessen zu diskriminieren. Wieso sollten wir also jemanden diskriminieren, weil er katholisch, moslemisch oder orthodox ist, man wird in eine Familie hineingeboren und niemand fragt einen, ob man diese Religion überhaupt möchte.
Jane hatte es in den darauffolgenden Jahren nicht einfach: Sie wurde als Negerliebchen beschimpft, ihre Kinder wurden gemobbt, ihr Vater verlor seinen Laden und seine Existenzgrundlage. In Antirassismus-Workshops wurde sie geschlagen, bedroht und sie erhielt immer wieder Morddrohungen, aber sie hat nie aufgehört für Gerechtigkeit zu kämpfen.

Sie hat das Experiment später auf Erwachsene ausgedehnt, um ihnen zu zeigen, wie sie sich fühlen, wenn sie diskriminiert werden. Viele haben nicht einmal zwei Stunden ausgehalten, was andere ihr gesamtes Leben lang auf ihren Schultern tragen müssen und haben den Workshop verlassen.
Ich kann euch nicht verdeutlichen, was mich so sehr an dieser Frau bewegt, seht euch die Dokus an, dann werdet ihr verstehen. Es werden grundsätzliche Fragen behandelt wie: Wie funktioniert die menschliche Psyche? Wieso ist Rassismus möglich? Bin ich schuld, wenn ich doch nichts getan habe? Wie rassistisch sind WIR aus Exju gegenüber den anderen? Wir doch nicht! Oder doch? Ein Teilnehmer ihres Workshops sagte: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ein einzelner Mensch etwas ändern kann.“
„Wie viele Menschen sehen Sie vor sich?", fragte Jane....und sie hat viel verändert. Sehr viel.
 BLUE EYED - BLAUÄUGIG (Auf Deutsch)


Auf Youtube:  BROWN EYES-BLUE EYES (Engl.)



A class divided:



How racist are you really? Jane bei Oprah


Ausschnitt auf Deutsch:


Doku Blauäugig

Jane Elliott
 For the triumph of evil it´s enough that good men do nothing 



26. September 2013

Auffallend viele Kondome – a German girl in Bosnia


Dieses Jahr ist eine deutsche Freundin (aber nicht die erste) in das Haus meiner Eltern nach Bosnien gefahren, um uns alle zu besuchen. Mich interessiert es immer, was Deutsche so „sehen“, wie sie das Land empfinden und wie es ihnen gefällt.
Hier also ein kleiner Bericht meiner Freundin Carolin.
(Hi Caro :-))
1) Wieso bist du nach Bosnien gefahren?

Weil mich meine „älteste Freundin“ eingeladen hat.

Ich brauchte mal einen Tapetenwechsel und wollte auch etwas anderes erleben.

Mein Sohn sollte etwas von der Welt sehen.
Außerdem schien eine 10-stündige Busfahrt mit einem bosnischen Busunternehmen ein Abenteuer zu sein.

Ich glaube, Abenteuer trifft es ganz gut, da von den Fahrern niemand Deutsch sprach und aus 10 Stunden können je nach Lage an der Grenze auch mal schnell 17 Stunden werden.

Hinzu kommen seltsame Musikgeschmäcker der zwei Busfahrer, die während der Fahrt auch rauchen, obwohl das eigentlich verboten ist, die ganz hinten im Bus liegen und schlafen und laut schnarchen und einen bitten, eine Schachtel Zigaretten auf die eigene Kappe zu nehmen, weil derjenige selber zu viele dabei hat.

2) Wie hat dir Bosnien gefallen?

Bosnien hat mir sehr gut gefallen. Es ist ein wirklich schönes Land. Baulich und menschlich nicht mit Deutschland vergleichbar, obwohl die Landschaft aber ländlichen Gebieten in Deutschland ähnelt.


3) Was war anders, als du es dir vorgestellt hast?

Ich habe mir gar keine Vorstellungen gemacht. Aber es war das Schwimmbad.

Das Schwimmbad hatte bei 28/29 Grad schon zu, weil die Temperatur gefallen war und es zu kalt war! Staunen auf unserer Seite und Ausweichen auf den nächsten Fluss.

4) Was hat dir gefallen?

Traumhaft war unser Badetag. Super! Total idyllisch, einfach schön. (An einem Fluss, an dem früher eine alte Wassermühle stand. Im Fluss kreuchte und fleuchte es vor Fischen und Schlangen und anderem Getier. Zwei Männer angelten mit ihren Kindern und spießten die Fische auf Holzstäbe auf, um das Abendessen später nach Hause zu tragen.)

Auch das Fischlokal war super traumhaft. Der Kuhstall deiner Tante im Dorf war auch ein Highlight und die vielen verschiedenen Tiere waren ein Erlebnis (1. Abend).

Insgesamt haben wir 19 verschiedene Tierarten hautnah gesehen, für mein Kind war das wie ein Urlaub auf einem großen Bauernhof. (Von Ziege, Katze, Hund, Ente, Schwein, Kuh, Eidechse, Schlange, Meerschweinchen…war alles dabei. Meine Tante Mila hat einen ganzen Schuppen voller Meerschweinchen. Mein Cousin hat zwei von einer pijaca mitgebracht und das Pärchen war schon in freudiger Erwartung. Ziemlich bald vermehrten die sich wiederum und nun sitzt eine Horde Meerschweinchen im Raum, in dem das Fleisch geräuchert wird und quiekt vergnügt vor sich hin. „Hoces jednog? Nosi ih sve ako hoces. Sta ce mi?“, sagt meine Tante und hofft, dass ich sie von der Schweinchenplage erlöse.

Das Fischlokal besteht nur aus lose zusammengezimmerten Holzbrettern und liegt an einem Bach. Die Fische werden lebend aus einem Bottich geholt, getötet, saubergemacht und dann landen sie auf dem Grill. Dazu gibt es Krautsalat. Ein anderes Gericht gibt es nicht. Latte Macchiato auch nicht, dafür einen Kinderspielplatz, Hunde mit denen man spielen kann und einen Hamster in einem Hamsterkäfig in einer kleinen Bretterbude. Das Restaurant liegt abgeschieden auf einem Berg in der Nähe des Klosters Liplje. Uriger, natürlicher und gesünder geht´s nicht.



5) Was hat dich fasziniert?

Die Bienen deines Vaters, die Honigwaben und diese gelben Krümel.

Mein Papa ist Hobbyimker, besitzt mehrere Bienenvölker und stellt Honig und die dazugehörigen Nebenprodukte her. Die gelben Krümel, die meine Mama in einer großen Tupperdose aus dem Kühlschrank holte, sind einfach Blütenpollen, die an den Beinen der Bienen kleben bleiben und dann im Bienenstock abfallen und nicht verarbeitet werden. Es sind ganz kleine Kügelchen, von denen man jeden Tag einen Teelöffel essen sollte. Sie sind äußerst gesund. Die Inhaltsstoffe wie Vitamine, Mineralien, Aminosäuren, Proteine, Enzyme und Coenzyme haben einzeln schon eine positive Wirkung auf den Menschen. In Kombination entfalten sie eine noch höhere Heilkraft. Es gab bereits erste klinische Studien, die belegen, dass reine Blütenpollen antibiotische, antiinflammatorische, immunstimulierende und antikanzerogene Eigenschaften haben. Auf gut Deutsch gesagt: sie bekämpfen Bakterien, helfen bei Entzündungen, regen das Immunsystem an und bekämpfen Krebs bzw. beugen diesem vor.




6) Was hat dir nicht so gefallen?

Dass jemand (also Sneki) mir vergessen hat zu sagen, dass 2 Leute Geburtstag haben/hatten in der Zeit und ich daher kein Geschenk hatte!

Es waren eigentlich vier! Duki, Daca, Goran und Vesna

7) Was ist dir besonders aufgefallen?

Dass mein Sohn ein Fototalent hat, das ich fördern will. Und das es auffällig viele Kondome in den Supermärkten gibt.

Was sagt das bei den Deutschen über die Bosnier aus? Was heißt auffällig viele? Warst du letztens mal im DM, gerade heute Morgen habe ich Dinge schön versteckt hinter einem Aufsteller gesehen, von denen ich hoffe, dass mein Sohn beim nächsten Einkauf nicht fragt, was das ist.

8) Wie hast du die Menschen dort empfunden?

Die Menschen sind einfach typische Südländer. Gastfreundlich, offen, liebenswert und auf jeden Fall auch ein Grund, warum ich die Einladung angenommen hab. Man gehört gleich zur Familie, da steh ich drauf.

9) Was hat dich schockiert?

Das Tierheim/ der Hundezwinger.


Dort haben wir auch „Wolle“ gefunden. Ist er nicht das Süßeste, seit es kleine Kuschelmonster gibt?




10) Was war unvergesslich?

Die Mutter an der Gedenkstätte und Wolle.

Im Dorf gibt es eine Art Gedenktafel, die an die Soldaten erinnert, die im Bosnienkrieg gefallen sind und die aus diesem Dorf stammen. Eines Abend sitzen wir In-Cafe (das einzige Cafe, in dem nur ältere Herren sonst sitzen und in dem sich einer lauthals beschwert, dass die österreichische Rente von 1000 Euro nicht reicht, immerhin habe er sich die Gesundheit kaputt gemacht, weil er Straßen um Wien geteert habe (pizda im materina hitlerovska…). Er flucht so derb und extrem laut, dass der Hund aufsteht und sich woanders hinlegt. Auf jeden Fall kam eine ältere Frau ganz in Schwarz an die Tafel, legte ihre Hand auf das eingravierte Gesicht ihres Sohnes und fing zu klagen und zu weinen an. Wir kamen ins Gespräch, weil Caro das Denkmal gerade fotografierte und dann fing zu erzählen an. Sie sagt, sie dachte, sie würde den Tod ihres Sohnes nicht überleben, er war doch erst 21 und der Jüngste (auch ein Drazen). Aber sie sei noch hier, nach 20 Jahren, genauso wie der Schmerz.

Dann putzte sie den Stein mit ihren bloßen Händen, entschuldigte sich bei ihrem Sohn, dass sie kein Taschentuch hat und sagte: „Ajde sine, lepi moj, zbogom, sutra ce mama opet doci.“

(Also, mein Sohn, leb Wohl, morgen kommt Mama wieder.)

„Er hat immer gesagt: Mama, weine nicht, ich komme doch wieder von der Front,“ sagte sie mir, „aber dann kam er nicht wieder.“ Und dann ging sie fort.


11) Würdest du wieder hinfahren?

Ja, ich würde gern mehr von Bosnien sehen.

16. September 2013

Yugoslav voices from the Holocaust

Ich habe bei Youtube ein sehr interessantes Video über Juden in Exjugoslawien und den Zweiten Weltkrieg gefunden.

Eine Dame im Video sagt: „Sarajevo wurde auch Klein-Jerusalem genannt.“

(Seltsam, habe erst letztens ein Video gesehen, in dem Franjo Tudjman sich mit dem Messias und Zagreb mit Jerusalem vergleicht...)

Über die Geschichte der Juden am Balkan weiß ich nur wenig, daher fand ich das Video sehr infomativ.

Sprache: Englisch/Serbokroatisch/Hebräisch






10. September 2013

Sunce na koži – Sonne auf Haut





Der Boden hob und senkte sich, kam ihr entgegen, nur um dann wieder schlagartig abzufallen.

Er atmete, er pulsierte, bebte und wackelte.

„Warum nur habe ich immer noch Angst?", dachte sie.

„Es ist das sicherste Transportmittel. Aber es sind so viele Tonnen Stahl. Wie viel mochte so ein Flugzeug wiegen? Und all diese Menschen in ihm? Wenn 400 Leute hineinpassten? Wenn jeder um die 80 kg wöge? Und dieses Ungetüm hob sich bedenkenlos empor in die Lüfte, die ganzen Tausende von Kilogramm hielten es nicht auf, und nicht die fetten Menschen an Bord und nicht das Gepäck der fetten Menschen...."

Sie sah wieder aus dem kleinen ovalen Fenster, der Boden atmete immer noch. „Wenn wir jetzt abstürzen, dann sehe ich Viktor nie mehr, und was soll Danijel denken, warum ich in dieser Maschine saß?“

Die Lichter schwirrten nur so am Fenster vorbei, Lichter eines fremden Landes, in dem sie noch nie zuvor gewesen war. Es hatte Viktor Schutz geboten, Schutz vor ihr und hatte ihn aufgenommen, um ihm Trost zu spenden, seinen Verlust zu lindern und ihn glauben zu machen, dass die vielen Kilometer etwas bewirken könnten.


Wozu gab es eigentlich Uhren ohne Ziffern? Hatte seine Uhr nicht eine stolze Summe gekostet? Er konnte die Temperatur ablesen, das Datum, aber es waren keine Ziffern dort und die Zeiger zeigten ins Leere, sie schienen zu sagen: 
„Rate doch, ob es zehn ist oder schon elf, wir zeigen dir grob die Richtung." 
Viktor wünschte sich zurück in die Zeiten, als er in der Pubertät war und keine Uhr besaß. Jetzt verdiente er viel Geld und seine Armbanduhr verspottete ihn.
Mr. Smith sprach immer noch. Nein, er suhlte sich in seinem Redeschwall, selbstgefällig und überheblich. Viktor Tomašević arbeitete seit knapp zwei Jahren für Mercantile, nie kam er vor 19 Uhr aus dem Büro, er absolvierte geduldig und gehorsam wie ein dressierter Hund die Geschäftsessen, lachte über die flachen Witze seines Chefs, rückte dabei seine Krawatte zurecht.

„Welch amüsante Anekdote!“, pflegte er zu sagen, doch heute war es anders. Er lehnte sich nach vorne, um auf die Uhr seines Nachbarn zu spähen, die Zeiger schienen direkt aufeinander zu liegen, aufeinander. Das würde Lucija gefallen. Früher hatte sie aufgeregt geschrien: 
„Viktor die Zeiger sind eins, genau jetzt da ich auf die Uhr gesehen habe. Jemand denkt also an mich." Und schon hielt sie ihm drei Finger hin.
„Zieh an einem, los!“ hatte sie bestimmt, und dann verzog sie das Gesicht wenn Viktor den falschen Finger gewählt hatte und somit ein „falscher" Mann gerade an sie dachte. Er schmunzelte, sie hatte sich immer ihre kindische Ader bewahrt.



An all das dachte Viktor und an vieles mehr. Es stimmte wohl, man vergaß nie die Frau mit der man sein erstes Mal erlebt hatte. Wie oft hatte er sich in Gedanken verloren, verfangen, war gestürzt, und dann erklärte er Mira, seiner Ehefrau, wie überarbeitet er war. Manchmal erwischte es ihn eiskalt. Letztens stand er mit ihr in einer dieser Edelboutiquen. Seine Ehefrau hatte aus allen Ecken ausgewählte Kleidung zusammengetragen und sie in einem unübersichtlichen Haufen an der Kasse drapiert. Lumpen nannte Viktor sie, wohl wissend dass er 70 % des Kaufpreises nur für den Namen auf dem kleinen Schild bezahlte.
„4.500 Dollar, bittesehr!“, hörte er die Dame an der Kasse sagen, als er sie anblickte war sie da: Lucija, natürlich nicht sie selbst. Aber diese Frau, sie hatte ein Muttermal über der Oberlippe, genau wie seine Lutka. Es traf ihn wie ein Schlag, er hielt seine American Express in den Fingern, sie schwebte zwischen seinem pochenden Herzen und dem Muttermal, so lange bis ihm Mira die Karte aus den Fingern nahm und sie entschlossen weiterreichte. „Du arbeitest zu viel“, konstatierte sie.

Als Viktor Mr. Smith nicht länger ertragen konnte und da er glaubte, dass an diesem Abend sicherlich keine geschäftlichen Themen mehr besprochen würden, entschuldigte er sich und verließ, schneller als er hätte sollen, den Tisch.

Die verstopfte Avenue voller Taxen, die New York wie kleine gelbe Käfer bevölkerten, lag vor ihm, er hatte sich immer noch nicht an dieses Chaos gewöhnt. Die Autos drückten sich durch das Straßengitter, manchmal ging es allerdings so langsam voran, dass man zu Fuß schneller vorwärts kam. Würde er es denn schaffen, pünktlich zu sein? Er stieg in ein Taxi, nur allzu willig die schwüle Hitze zu verlassen und sich in den kühlen Wagen zu setzen. Sicherlich war er diese hohen Temperaturen gewöhnt, allerdings fröstelte es ihn jetzt schneller als früher, Viktor wusste nicht, ob es deshalb war, weil er älter wurde oder weil er Lutka verlassen hatte. In ihrer Nähe fror er nie und in ihr fror er nie. In seinem Heimatland Jugoslawien stöhnte man erst jenseits der 40 ° C-Grenze. Ja, die Jugoslawen hatten ihren stillschweigenden Pakt mit der Hitze geschlossen. Sie erduldeten sie und dafür lockte sie die Touristen ins Land, spülte Geld in die Kassen und erlaubte es den Einheimischen sich durch Technik Linderung zu schaffen. Die Jugoslawen lebten also in ihren Häusern, hörten das Surren der Ventilatoren schon nicht mehr, machten ein Mittagsschläfchen, schlossen die Wärme aus, versteckten sich unter den Zweigen der Olivenbäume. Sie stachen auf die lubenice, die Wassermelonen, ein, zerteilten das rote Fleisch das offen vor ihnen lag, wie eine Wunde, die bereit war, sauber geleckt zu werden. 
„So sieht Lucijas Geschlecht aus", dachte er, „offen, gerötet und gespalten, nass glänzend und einladend.“

Er erinnerte sich an das erste Mal, als er diese Wunde gesehen hatte.
In diesem Sommer, Ende der Sechziger, sie waren beide sechzehn damals, lag er am Strand von Šibenik. Angestrengt versuchte er den Lärm der Welt auszuschalten, als sie sich über ihn beugte.
„Liebst du die Sonne nicht?" hatte sie gefragt.
„Doch, warum fragst du?"
„Warum liegst du dann im Schatten?"
„Es ist zu heiß, um in der Sonne zu liegen."
„Dann liebst du die Sonne nicht! Du liebst sie nur, wenn sie dir nicht zu heiß ist.", bemerkte sie vorwurfsvoll.
„Ja, aber ich verbrenne sonst, ich habe keinen Sonnenschutz dabei."
Sie wandte sich angewidert ab, um dann hinzuzufügen: 
„Ich auch nicht, aber ich liebe sie, die Sonnenstrahlen meine ich. Sollen sie mich ruhig verbrennen, dann spüre ich sie, weiß, dass sie auf meine Haut getroffen sind. Die Rötung ist eine Spur meiner Liebe, der Beweis, dass ich etwas liebe, auch wenn ich ihm ausgeliefert bin. Das ist sichtbar gewordene Liebe, Viktor, verstehst du?“

Immer war sie so, so extrem und fordernd, nie konnte sie sich mit einem Mittelmaß zufrieden geben. Hartnäckig glaubte sie, dass Viktor nicht wusste was wahre Liebe war und dass sie ihn belehren müsse.

Am Abend darauf saßen sie am Strand hinter einem Stapel aufgetürmter Liegestühle. Ihre Eltern waren beim Abendessen und diskutierten, ein Mahl konnte sich über Stunden hinziehen. Immer wieder steckte man etwas in den Mund, auch wenn man keinen Hunger verspürte, aber ein Tropfen Rotwein hatte noch Platz, oder eine Nachspeise, ein Rinnsal von heißem Kaffee oder noch eine eingelegte Olive, die so verlassen wirkte auf dem großen Teller. Das Essen war nicht nur zur Sättigung gedacht, man kommunizierte miteinander, genoss die Geschmäcker und Gerüche, fühlte die runden Trauben im Mund oder ließ das Eis auf der Zunge zergehen.

Lucija drehte eine Weintraube zwischen ihren Fingern und beobachtete die zarte Haut, die dunkelviolette Farbe. Sogar im Dunkeln schimmerte der kleine Ball in verschiedenen Nuancen. Sie setzte die Traube an Viktors Lippen, schob sie durch den Spalt, der sich öffnete und den Weg freigab.
Viktor schob sie mit der Zunge hin und her, zerbiss sie, schmeckte den süßlichen Saft, dann spuckte er die winzigen Kerne in den Sand.
„Du machst es schon wieder“, bemerkte Lucija, „nie liebst du etwas ganz. Du isst das Fleisch, aber du trennst es von den Kernen, aus denen es gewachsen ist.“ Ihr Muttermal über der Lippe bebte und sah bedrohlich aus.
„Liebst du mich denn? Oder verlässt du mich, wenn dir eine Andere begegnet?“
„Natürlich nicht.“
„Beweise es mir, wie kann ich sicher sein, dass du mich liebst, du sagst nur Worte, die zerfallen, sobald sie deinen Mund verlassen. Worte sind nichts als aneinandergereihte Buchstaben. Ich wünschte du würdest mich lieben, wie ich die Dinge liebe. Ohne Wenn und Aber.“ 
Sie lehnte sich zurück, grub die Füße in den Sand und legte einen unschuldigen und doch fordernden Blick auf, als sie ihren Rock weit hochschob.
„Wir dürfen das nicht.“ stotterte er. 
„Was wenn unsere Eltern..?“

Sie legte ihm eine Hand um den Hals, sie berührte ihn, sog seinen Duft tief nach innen, ließ ihn durch ihre Adern fließen, bis sie merkte, dass sein Körper reagierte, sich erhob und verlangte zu bekommen, was man ihm versprach.
„Sie sind doch im Restaurant, sie suchen nicht nach uns.“ Viktor beugte sich nach vorne, wieso wehrte er sich überhaupt? Hatte er nicht schon vor langer Zeit den Kampf verloren. Jedes Mal wenn er Lucija sah, drehte sein Verstand sich um, ging in die andere Richtung, Viktor bestand dann nur noch aus den Zellen seines Fleisches, fühlte sein Herz pochen und ihm wurde flau im Magen. Immer schon hatte er ihr Haar berühren wollen, es schlängelte sich in großen Wellen über ihre Schultern, war mal dunkelbraun, dann wieder bronzefarben oder stellenweise so wie karamellisierter Zucker. Er wollte schon immer an ihm riechen, traute sich aber nie. Stattdessen drückte er seine Lippen jetzt auf ihr Muttermal, umschloss dann ihre Oberlippe, sog daran wie ein hungriges Baby an der Mutterbrust, und alle Ängste fielen ab, er würde sie lieben, das wusste er jetzt, denn es blieb ihm keine Wahl.

An all das dachte er, als er die 4.500 Dollar zahlte, und an all das dachte er, als er im Taxi saß. Damals hatte er sein erstes Mal erlebt, der Traubengeschmack hatte sich mit dem ihres Speichels vermischt, und Viktor hatte Spuren zwischen ihren Beinen hinterlassen.
Er musste seine Hand auf ihren Mund pressen, damit niemand sie hörte, denn Lucija war immer intensiv. Für sie war die Lust keine, wenn man sie nicht in jeder Faser fühlte, oder zum Meer hinausstöhnen konnte. Deshalb ließ er sie keuchen, ließ sie seine Finger lutschen und beißen. Er selbst stöhnte in den Sand, steckte sein Gesicht soweit er konnte in ihn, als er zum ersten Mal eine Frau von innen fühlte, als sie ihn in sich aufnahm. Nie hatte er es sich erträumen lassen, dass es sich so warm anfühlen würde, es war als wäre er kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Ihr Karamellhaar lag ausgebreitet vor ihm und er nahm es in den Mund, bevor er sich vergaß und sein Körper ihm nicht mehr gehorchte.

Auf ihrer Uhr war es schon fast elf und von Viktor keine Spur. Hatte er es sich anders überlegt? Vielleicht hatte er einen Rückzieher gemacht. Sie drückte ihre Hände zusammen bis die Knöchel weiß wurden und zu schmerzen begannen. Die Erinnerungen waren noch so lebhaft vor ihrem inneren Auge. Der Abend vor zehn Jahren, als sie Schluss gemacht hatten, bohrte immer noch kleine Spitzen in ihre Seele. Sie war damals noch Single, aber Viktor war bereits verheiratet, hatte einen Sohn und eine Tochter. Lucija wusste, dass Viktor ein Familienmensch war, er würde seine Frau nicht verlassen, er würde seine Kinder nicht ohne Vater aufwachsen lassen. Aber genauso liebte er auch sie, die Frau, die ihn zuerst hatte. 
Immer wenn der Kummer zu schwer wurde, immer wenn sie in der Badewanne lag, Opern hörte und weinte, dann dachte sie, dass er ihr zuerst gehört hatte. Ein minimaler Trost, aber es war die Wahrheit.

Damals in Zagreb hatte sie gedacht, sie würde ihn nie wieder sehen, nach diesem Streit, nach dem Drama, das ihr für eine Weile den ganzen Atem genommen hatte.
Das Zimmer hatte im Dunkeln gelegen. Sie beide hatten sich geliebt, ihre Körper waren noch verschwitzt und warm. 
Aber sein Blick beachtete sie gar nicht, nicht ihr Haar, nicht die Mulde zwischen ihren Brüsten. Er ließ sich auf den Boden sinken. Manchmal hat man so eine Vorahnung von den Dingen, die gleich passieren und sie wusste, dass der Akt abgeschlossen war und die Nähe, die sich schützend um sie gebunden hatte, löste sich abrupt. Lucija sah sie davonschwimmen, wie ein Boot das jemand losgebunden hatte. Man versucht in solchen Situationen nur noch den Moment auszukosten, bevor man das Ungesagte hören muss. Bevor man hört, was man schon weiß und deshalb schmerzt es, bevor es eigentlich schmerzen kann. Antizipiertes Leid. 
Und dann sprach er die Worte aus, die nichts von ihrer Kraft einbüßen, nur weil man sie erwartet und im Geiste geformt hatte.   
„Das muss ein Ende haben“, hörte sie ihn sagen. Das Wort „Ende“ war glühend heiß, hämmerte in ihren Schläfen, brannte auf der Haut, wie die Sonne Ende der Sechziger. Viktor sprach weiter, aber sie fühlte nur das Ende.


Sie hatte seinen Samen mit einem Taschentuch ganz ruhig von ihren Brüsten gewischt, danach damit ihre Tränen getrocknet. Er hatte ihr Gesicht und ihr Muttermal geküsst, aber was konnte das helfen?
„Du liebst mich wie die Sonne“, sagte sie dann leise. Wenn es dir zu viel wird, dann suchst du dir einen schattigen Platz. Du bist ein Verräter.“

„Nein, nur verheiratet.“ – sagte er lapidar, kühl.
„Du bist keine Frau zum Heiraten Lucija, das mit uns ist Leidenschaft, es hat nichts mit Liebe zu tun, und du weißt, dass es nicht sein darf, was würden denn die Anderen sagen? Wir werden nie Mann und Frau sein!“ Dann kleidete er sich an, trat in den Flur hinaus und zog die Tür leise zu. Danach nahm er ein Jobangebot im Ausland an und schob den Atlantik zwischen sich und Lucija.


Die automatische Glastür öffnete sich um elf Uhr dreizehn. Um elf Uhr vierzehn drückte Lucija sich an Viktor, sah zu ihm hoch, folgte den Linien in seinem Gesicht, fuhr über die glatte, rasierte Haut und lächelte matt.

Um Mitternacht trafen sie in ihrem Hotel ein. Sie legte ihre Hände auf den kühlen Marmorthresen des Empfangs, denn sie zitterten und konnten verraten, dass sie nervös war.
„Guten Abend“, grüßte sie der Rezeptionist. 

„Guten Abend, wir haben reserviert, mein Name ist Viktor Tomašević“. 
„Yes, Sir, dürfte ich ihre Pässe für den Check-in haben?“ Viktor übergab seinen, den er immer im Jackett hatte.
„Sir, Sie haben ja heute Geburtstag! Hier steht 14.07. Herzlichen Glückwunsch!“
Viktor lächelte, ja es war nach Mitternacht, er wurde heute 36 Jahre alt. Er fuhr Lucija übers Haar.
Sie kramte verloren in ihrer Handtasche, alles dauerte zu lange, konnten sie nicht einfach hinaufgehen und sich ausziehen, sie hatte zehn Jahre lang seine nackte Haut nicht gespürt. Schließlich fand sie den Pass und legte ihn auf den Marmor.
Der Rezeptionist blätterte darin „Sie sind? Ach ja, hier steht es: Ja. Mrs. Lucija Tomašević. Die Ehefrau-nehme ich an.“
Die Buchstaben waren tief in das dicke Papier gedruckt, wie oft hatte Lucija sich gewünscht, andere Namen würden dort stehen. Aber es waren nur aneinander gereihte Buchstaben. Wenn man sie aussprach, trug der Wind sie weg.
„Ja, seine Frau.“, log sie.
„Sie wurden am gleichen Tag geboren wie ihr Mann. Am 14. 7. 1953. Congratulations! Das muss ein gutes Zeichen sein! Welch ein Zufall.“
„Ja, wir werden immer darauf angesprochen.“ sagte Viktor, „Lucija, lass uns hinauf gehen.“
Er würde sie wieder lieben, das wusste er jetzt, denn es blieb ihm keine Wahl. Sie waren schon vereint gewesen, bevor sie auf der Welt waren - und er würde diese Bindung nicht durchtrennen.





8. September 2013

Mozart und der Riese – you were brothers



www.marca.com



 Der Riese geht durch den Schnee und trägt einen Blumenstrauß, ein schwerer Gang, sein Freund liegt hier begraben und so viele Jahre hatte er die Trauer in sich getragen, darüber dass alles so kommen musste, wie es gekommen war.

„Schön, dich zu sehen, mein Freund.“, sagt er, am Grab abgekommen und hinterlässt ihm ein Bild, auf dem sie sich umarmen.

Quelle: espn.com


Sie waren Freunde gewesen, die der Krieg und dann ein Unfall für immer auseinanderriss, ohne dass sie sich aussprechen oder versöhnen konnten.

Die Rede ist von zwei Basketball-Legenden: Dražen Petrović und Vlade Divac. Mein Freund meinte, ich könne nicht über sie schreiben, weil ich ihnen nie gerecht werden könne. Er meinte, ich könne nicht einfach zwei, drei Zeilen schreiben und das war´s.

Und tatsächlich muss man, auch wenn man kein Sportfanatiker ist, Achtung vor dem haben, was beide erreicht haben. Beide sind bzw. waren Ausnahmetalente im Basketball, beide machten sich in Exjugoslawien einen Namen, beide wurden mit ihren Teams Weltmeister und Europameister, Divac wurde 1988 bei den Olympischen Spielen in Seoul im jugoslawischen Team Vizeweltmeister, Dražen führte die Teams in denen er spielte in einer Tour zu Erfolgen. Beide wechselten aufgrund ihres Könnens in die USA zur NBA. Beide wurden in die Hall of Fame aufgenommen. Vlade in die FIBA Hall of Fame, Dražen in die der NBA. Dražen war anscheinend ein Virtuose auf dem Spielfeld, der das Spiel dominierte und den Ball kontinuierlich im Korb versenkte, was zu einer durchschnittlichen Punktezahl pro Spiel jenseits von Gut und Böse führte und ihm den Spitznamen „Mozart des Parketts“ einbrachte.

Ich habe wirklich kaum Ahnung vom Basketball, aber ich glaube der Name Dražen Petrović war mir ziemlich schnell ein Begriff, da ich auch Petrović heiße. Ganz egal, wer mich auch in welchem Land auch immer nach meinem Namen fragte…wenn ich ihn aussprach, formte sich ein Lächeln auf dem Gesicht des männlichen Gesprächspartners: „Ah, like in Dražen Petrović . Are you relatives?“ Mir wurde freundlich begegnet und alle sprachen voller Bewunderung über diesen Mann, über den ich nicht viel wusste, aber so wie sie sprachen war mir klar, dass er ein Basketballguru gewesen sein musste, eine Art Gottheit, die durch Basketball virtuos Kunst erschafft.

Vor einiger Zeit stieß ich dann auf diese wundervolle amerikanische Dokumentation, die viele Infos liefert und eine Geschichte erzählt, die mich wirklich sehr berührt hat. Sie zeigt, wie der omnipräsente Jugoslawienkrieg nicht nur Menschenleben zerstört hat, sondern auch eine Freundschaft, die dem Druck von „Ich-bin-Kroate-und-du-Serbe“ (oder andersherum, ganz egal) nicht standgehalten hat. Er hat auch den Sport wie ein Virus infiltriert und Sportler in verschiedene Nationalitäten geteilt, die gerade auf der Weltmeisterschaft in Argentinien die USA weggefegt und den Titel „nach Hause“ geholt hatten (hier erhilet die Freundschaft der zwei Spieler durch den Flaggenvorfall den entscheidenden Knacks, siehe Doku. Aber wäre er nicht sowieso aufgetaucht?) 
Sie hatten allen gezeigt: unser Land stellt in diesem Gebiet eine Koryphäe dar, vor der auch die USA einknicken. Vielleicht tut das Ansehen des Films auch deshalb ein wenig weh. Es taucht wieder einmal der Gedanke auf: Wir waren mal wer, wir waren die Nummer 1, on top of the world – was sind wir geworden? Nichts. Eine Rückentwicklung. Waren wir gemeinsam nicht stärker und besser?
Als Kroatien im Jahr 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona die Silbermedaille holt, fragt sich Vlade zu Recht: „What could have happened if my former team mates and I had played together?“

Vielleicht hätte es irgendwann eine Aussöhnung zwischen Dražen und Vlade gegeben, der in der Doku seine Version erzählt, aber Dražen Petrović starb im Juni 1993 im Alter von nur 28 Jahren ausgerechnet auf einer deutschen Autobahn in einem Wagen, der von seiner damaligen Freundin Klara Szalantzy gelenkt wurde. Sie überlebte und ehelichte später Oliver Bierhoff.

Vlade spricht sehr respektvoll über seinen ehemaligen Freund, verliert kein schlechtes Wort über ihn und zeigt eine Größe, die ihn glaubwürdig macht.
Leider wurde die Doku nicht überall positiv aufgenommen und vor allem in Kroatien teilweise als Propaganda bezeichnet. Sie waren keine Freunde, heißt es zum Beispiel. Dražens Mutter und Bruder bestätigen allerdings, dass es zwischen Vlade und Dražen eine sehr enge Freundschaft gegeben hatte.

„I am a Serb, but I regard myself as from Yugoslavia.“, sagt Vlade.
„I am from Croatia.“, sagt Dražen bestimmt.
Is this so important? You were brothers...


Anm.:
Dražen: abgeleitet von drag, draga, drago = lieb, teuer
Divac (2,16 m): enthält „div“ = der Riese; diviti se=staunen, etw. bewundern


Die gesamte Doku Once brothers, engl. mit Untertiteloption:



Divac über die Freundschaft zu Dražen:
 

The flag incident:



Nachrichten zum Tod von Dražen Petrović: