11. Mai 2013

Muttertag – nije da te ne volim



Liebe Mama,

dir diesen Brief zu schreiben, fällt mir schwer. Ich starre auf eine leere Seite, die sich wie ein Verrat anfühlen wird, wenn sie beschriftet ist.

Du warst immer für mich da, von Anfang an. Seit 1978 als ich als Frühchen mit weniger als 1900 Gramm auf die Welt kam. Du hast dafür gesorgt, dass ich die beste Versorgung erhalte und es in dieses Leben schaffe. Du hast dem Hubschrauber zugesehen, der mich in eine bessere Klinik brachte, du hast am Brutkasten gewacht und mich nach zwei Monaten stolz in mein neues Heim getragen, wie eine kleine Trophäe.

Du bist eine der Mütter, die man sich wünscht, die man für selbstverständlich nimmt als Kind, erst später sieht man, dass man das große Los gezogen hat. Dass nicht jede Mutter die aufgeschürften Knie verarztet, sondern vielleicht sagt: Stell dich nicht so an!
Nicht jede schnitzt aus Radieschen kleine Mäuse oder malt ein lachendes Gesicht aus Ketchup auf den Teller. So viele haben nicht das Privileg in einem sauberen Haus aufzuwachsen, in einem eigenen Zimmer und mit dem Butterbrot in der Schultasche, das du liebevoll geschmiert hast.

Ich weiß noch als ich Masern hatte, du hast gesagt, die bekommen nur Kinder, die Gott sehr liebt und dass jeder Punkt ein Kuss vom lieben Gott ist und weil dieser so mächtig ist, brennen seine Küsse wie ein inbrünstiges Feuer.

„Wenn du dich kratzt, werden die Engel böse und verpfeiffen dich“, sagtest du und ich habe ausgehalten voller Gewissheit, dass ich sicher bin bei dir und dass du es am besten weißt.

Dank deiner Hilfe habe ich es auf das Gymnasium geschafft, habe die Namen griechischer Götter gelernt, Latein und Französisch und wenn ich mal schlechte Noten nach Hause brachte, hast du die Nachhilfe organisiert und bezahlt. Ich habe alle Erwartungen erfüllt, mich integriert in dieses System, ohne Ärger zu machen oder negativ aufzufallen, so wie du es immer wolltest.

Eigentlich bist du alles, was ein Kind braucht, um stabil und gewappnet in die Wogen des Lebens zu segeln. Bei dir hatte ich keine Angst. Erst bei dir habe ich gelernt, wie Dinge richtig gemacht werden. Du hast mir Werte mitgegeben, mit mir Plätzchen gebacken und mir mein erstes Dirndl gekauft.
Auf allen alten Fotos blickt mich ein fesch geschniegeltes, zufriedenes, sauber gekleidetes und behütetes Kind an.

Und genau darin liegt mein Problem. Ich war stets zufrieden. Es gab so wenige Momente, in denen ich wirklich glücklich war. Du hast dein Bestes getan, aber es war nie genug. Habe ich in den Windungen meines Gehirns, in den Synapsen meiner Mnestik zu lange verdrängt, dass du mich nicht geboren hast? Ich wollte mich anpassen und so sein wie du, wie deine Familie, deren Blut nicht in mir fließt. Habe ich mein Spiegelbild verzerrt wahrgenommen? Nicht wahrhaben wollen, dass mein Haar dunkler ist, als deines, dass die Linien meines Gesichts nicht den Meanderfalten des deinigen gleichen?  

Im Grunde kann ich dir nichts vorwerfen und ich liebe dich auf meine Art. Es soll dir immer gut gehen, ich wünsche dir nur das Beste, womöglich bewundere ich dich. Du bist so stark, die ganze Welt blickt zu dir. Herrscht irgendwo eine Krise, dann bist du da, denn du bist organisiert und intelligent. Du bist pünktlich, relativ reich im Vergleich zu anderen. Überschwemmt ein Tsunami Thailand oder erbebt die Erde in einem Land, das dir egal sein könnte, schickst du Geld, Helfer und Medikamente. Du bist so gut zu mir und zu anderen. 

Und doch – wieso habe ich dieses Gefühl der Leere in mir? Manchmal...nachts, wenn ich den silbernen Mond durch meine Vorhänge sehe. Als ob er um meine tiefe Trauer wüsste, umhüllt er sich mit einer Wolke, um nicht meine Sehnsucht zu ertragen.

Wieso kannst du nie Fünfe grade sein lassen? Du bist immer perfekt, du duldest keine Schwäche. Auf Menschen, die „nur“ einen Quali oder keine Arbeit haben, blickst du verachtend hinab. Es ist schwer, dir zu genügen. Vater hast du geheiratet, weil er die Summe verdient, die dir so vorschwebte. Du bist kontrolliert, ich habe dich nie lauthals lachen sehen. Ich glaube, Vater und du hattet seit Jahren keinen Sex, wozu denn auch? Die Kinder sind gezeugt. Gefühle sind etwas für Träumer, die bringen einen nirgendwohin, sagst du. Liebe verfliegt. Nie würdest du aus dem Haus gehen, ohne dass die Frisur sitzt oder barfuß auf der Straße laufen. Ich muss den Sand aus den Schuhen klopfen, bevor ich das Haus betrete, denn Ordnung und Sauberkeit sind Tugenden und wenn ich müde bin und keine Lust zum Lernen habe, sagst du es kommt erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Arbeit bedeutet dir alles, wo kämen wir denn sonst hin...deine Wertarbeit wird überall geschätzt, aber wenn es um Lebensfreude geht, dann fällt niemandem dein Name ein. Ist es das, was du sein willst? Geht es immer nur darum, die Beste zu sein? Du backst das beste Brot, dein Mann fährt VW, BMW, Mercedes und Audi. Du hast Geld und strahlst Autorität aus, du stehst für Sicherheit und Kontinuität, Vernunft, Pragmatismus. Aber in Filmen brennen Mädchen nicht mit braven, vernünftigen Männern durch, weißt du, was ich meine?

In meinen Gedanken wirst du immer die nüchterne, nordische Blonde sein, die ihren Müll trennt und sich selbst so viele Zwänge auferlegt hat, dass etwas wie Spontaneität nur noch eine vage Vermutung ist. Du hast nie Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Deine weiß gestärkte Jil Sander-Bluse ist makellos, sie knittert nicht, denn du liegst nicht untätig in ihr auf der Couch.

Weißt du was? Ich lebe gerne einmal in den Tag hinein, ich gehe gern einmal im Pyjama zum Bäcker, mit offenem, wehendem Haar. Ich trage nicht immer Über- und Unterlack und mittlerweile ist mir auch meine Arbeit nicht mehr so wichtig. Ich wünschte, ich könnte mit meinen Freundinnen mitten unter der Woche am Gärtnerplatz Hula-Hoop-Reifen um mich tanzen lassen, in einem Restaurant nur Desserts essen und mir danach eine Kreolsprache beim Lagerfeuer an der Isar beibringen lassen. Wozu fragst du? Einfach so. Ich habe deine Kontrolle satt. Deine Contenance und deine ewige Korrektheit. Ich will zu spät zu einem Treffen kommen können, ohne als unzuverlässig zu gelten. Ich will mein Sofa mal in die Küche stellen, ich mag es so! Wenn ich bei 30 Grad im Schatten lieber Tiefkühlpizza esse (Nein, nicht Bio!) und portugiesischen Fado höre, dann sei es so. Muss ich jeden warmen Tag nutzen? Wann bist du überhaupt herzlich und warm? Im Zug von München nach Hamburg redest du mit niemandem ein Wort. Du achtest in der S-Bahn darauf, dich bloß nicht neben einen anderen Menschen zu setzen, wenn sonst noch Plätze frei sind. Privatsphäre nennst du das. Ich nenne es kühl.

Es tut mir Leid, ich musste es dir sagen. Ich bin nicht glücklich und seit ich weiß, dass du nicht meine leibliche Mutter bist, wünschte ich eine dickliche Frau, die nach gekochtem Essen duftet, würde mich an ihren ominösen Busen drücken und mir mit ihren bemehlten Händen laut gackernd durch die Haare fahren. Mich aufnehmen in ihre Familie, die warmherzige, herrlich chaotische Familie.

Aber es gibt sie nicht mehr. Und ich kann nichts daran ändern.
Trotzdem: ich will nicht werden wie du. Ich bin dankbar für alles, was du für mich getan hast. Du hast mich aufgezogen wie eine Pflanze, mich umsorgt und gehegt und gepflegt, aber warum werde ich das Gefühl nicht los, dass ich bei dir nie Blüten tragen werde? Die eisernen Winter deines Charakters sind zu lang. Die Geheimzutat hat dir immer gefehlt.

Alles Gute zum Muttertag
Deine Snjezana