21. Dezember 2013

Ich habe zwei Kinder, ich habe keine Zeit zum Hassen – My beautiful country

Die Brücke am Ibar

Quelle


Ein paar Mal musste ich schon schlucken, aber bei dieser Szene schnürt es mir regelrecht die Kehle zu.

Nana ist höchstens sieben oder acht Jahre alt und bekommt von einem anderen Kind zu hören:
„Moj tata kaze da si ti siptarsko kopile.“ (Mein Vater sagt, Du bist ein albanischer Bastard).

„Ja ne znam sta to znaci“, sagt Nana. (Ich weiß nicht, was das heißt.)

Aus diesem Grund wird ihr und ihrer Mutter die Zuflucht in einem Keller verwehrt, als die NATO im Jahr 1999 wieder einmal einen Luftangriff im Kosovo startet.

Die serbische Nachbarin möchte keine Albaner mehr in ihrem Keller haben und schickt sie hinaus.

Es ist dunkel, alles ist grau, der Wind weht, die Sirene ist zu hören.
Nanas Mutter weiß nicht so recht wohin, aber Nana tanzt im Wind wie eine Ballerina, breitet ihre Arme aus und wirbelt herum. Sie weiß wohl auch nicht, was ein Luftangriff ist.


„Ah, ist das wieder so ein Film, in dem die Serben die Bösen sind?“, fragt mein Umfeld immer wieder.

Ich glaube nicht. Die Regisseurin und Drehbuchautorin Michaela Kezele aus München ist das Kind einer Serbin und eines Kroaten und wenn man den FIlm gesehen hat, dann weiß man, dass es nicht um Gut oder Böse geht. Kommen böse Serben vor? Ja, gewiss.
Kommen gute Serben vor? Ja, gewiss.

Sind alle Albaner im Film die Opfer? Einige schon, andere schwören Rache und töten, aber es findet keine pauschale Zuweisung von Schuld statt.



neuepresse.de Kezele gewinnt Preis für Die Brücke am Ibar


Im Mittelpunkt scheint nicht einmal so sehr die zarte Liebesgeschichte zwischen der Serbin Danica (gespielt von der wunderbaren Zrinka Cvitesic, die schon in „Na putu/Zwischen uns das Paradies“ glänzte) und dem Kosovo-Albaner Ramiz (Misel Maticevic aus Berlin) zu stehen, sondern das Leben in einer menscheinfeindlichen Umgebung, die Uranmunition der NATO, die anfangs leugnet, radioaktive Abfallstoffe zu verwenden und die Zerrissenheit der Stadt Mitrovica, die durch den Fluss Ibar in zwei Teile geteilt wird, die wie Paralleluniversen nebeneinander existieren.

Serben und Albaner wagen sich jahrelang nicht auf die andere Seite.

Danica hat abgesehen von den wiederkehrenden Luftangriffen andere Probleme. Ihr Mann ist gestorben, der jüngste Sohn spricht seitdem nicht mehr, singt im Chor das Kinderlied „Najljepsa je zemlja moja“ (Mein Land ist das schönste) nicht mit (An dieses Kinderlied ist der Titel des Films angelehnt).

Der ältere Sohn Vlado schwänzt die Schule, raucht und stiehlt. 
Zu allem Überfluss schickt Belgrad keine Witwenrente mehr und dann findet sie noch einen verwundeten „Feind“ in ihrem Haus. Soll sie ihn ausliefern? Bringt sie sich und die Kinder in Gefahr? 



br.de / Ramiz und Danica



Wie bereits in ihrem ersten Film „Milan“, der richtig unter die Haut geht und als eine Art Schwesternfilm von „My beautiful country“ angesehen werden kann, da teilweise dieselben Schauspieler engagiert wurden, inszeniert Kezele „Die Brücke am Ibar“ als Antikriegsdrama, das die Grausamkeit des Konflikts auf der zivilen Ebene aufzeigt. 
Die Protagonisten Danica und Ramiz wagen das Unerhörte in einer Gesellschaft, die gerade dazu auffordert, ja verlangt, sich vom anderen abzuschotten und zu trennen und ich denke, das allein ist schon für Viele eine Provokation, aber warum sollte es nicht möglich sein?

Ich würde zu gerne wissen, wie viele Mischehen es derzeit im Kosovo gibt? Keine? Weil alle Paare einer MIschehe sicherlich geflohen sind. Wenn sie es nicht sind, sind sie tagtäglich bestimmt Anfeindungen ausgesetzt.

Ziemlich zu Ende des Films fragt Danicas Nachbarin, die einst Miss Pristina war: „Du musst sie doch auch hassen wie ich!?“

„Ich habe zwei Kinder.“, sagt Danica, „Ich habe keine Zeit zum Hassen.“ 


„My beautiful country“ hat zurecht zahlreiche Preise abgeräumt und läuft derzeit in ausgewählten Kinos.

In einer Nebenrolle ist der legendäre Bata Zivojinovic zu sehen. 

Fazit: Drama, das niemanden mit Herz kalt lässt, das dennoch auch einige Lacher bringt (Prostituierte, koje „ne puse“, mada je ocigledno cime se bave, nein die Deutschen haben den Witz nicht verstanden, da Original mit Untertiteln) und teils schaurig schöne Bilder. Unbedingt ansehen!



Trailer:



Radiointerview mit Michaela Kezele



Interview Misel Maticevic:


 

P. S.: Den Film haben übrigens eine Agnostikerin mit orthodoxen Eltern (meine Wenigkeit), eine Kroatin, die aus der Kirche ausgetreten ist und eine religions- und politikkritische Iranerin gesehen. Die 3 wieder „vereint“.


18. Dezember 2013

Fast schon vom Balkan abgewandt

Nachricht eines Lesers an mich

Heya Snježana,
ich habe mich die letzten Tage durch Deinen Blog und die Facebookseite geklickt und habe das Bedürfnis Dir ein paar Zeilen zu schreiben.

Vielleicht nur ganz kurz zu mir: Ich bin 71´er Jahrgang, in Wuppertal geboren und bin laut meinem Pass ein Kroate. Ich hatte bis zum Krieg keinen wirklichen Bezug zu meiner "Heimat". Natürlich sprachen wir zu Hause jugoslawisch und jedes Jahr war ich ich "unten" im Urlaub. Ich freute mich auch jedes mal meine große Familie wieder zu sehen. Während des Krieges war ein Teil dieser Familie in der Wohnung meiner Eltern als Flüchtlinge untergekommen. Ab diesem Zeitpunkt fing ich an ein sehr einseitiges und negatives Bild von den Serben zu zeichnen. Persönliche Erfahrungen vor und nach dem Krieg bekamen eine neuen Bedeutung und unterstrichen meine Einstellung.

Heute, etwas belesener und informierter, sieht das ganz anders aus. Ich stelle fest wie sehr im mich meiner Herkunft entfremdet habe, weil ich dieses ganze nationalistische Geseier einfach nicht mehr ertragen möchte. Und da schließe ich alle Nationen aus Ex-Jugoslawien mit ein. Ich kriege regelmäßig streit mit meinem Vater wenn er über Serben hetzt und kroatische Kriegsverbrecher als Volkshelden darstellt.

Ich denke, dass Du gut verstehst was ich meine, denn ich möchte mich nicht über meine Situation auslassen sondern etwas zu Dir und Deinem Blog bzw. Facebookseite schreiben.

In Deinem Blog schreibst Du Dinge die mir immer auf der Seele lagen, ja regelrecht brannten, ich aber zu müde oder zu resigniert war um sie auch in diesem Maße wie Du es tust auszusprechen. Deswegen möchte ich dass Du weißt, dass ich Dich für Deinen Mut und Durchhaltevermögen regelrecht bewundere, und es mich sehr freut dass jemand versucht die schönen, verrückten und urtümlichen Seiten dieser Nation(en) wieder aufzuzeigen.
Ich für meinen Teil hatte mich schon fast vom Balkan abgewendet. Zu sehr hat mich die Korruption, das Faschistoide und diese unglaubliche Uneinsichtigkeit der Leute abgestoßen. Um so mehr freut es mich dann sowas wie deinen Bog zu lesen.
Es tut mir in der Seele weh zu lesen, dass Du dafür auf das übelste beschimpft wirst und hoffe sehr dass Du dir eine dicke Haut hast wachsen lassen, an der sowas in Zukunft von dir abprallen wird. Es mag dir vielleicht nicht so erscheinen...aber was Du da tust ist wichtig und gut!

Ganz liebe Grüße i sve najbolje za Tebe i tvoju Familju.



D.

Was am schwersten war - Momentaufnahme


Mein Onkel Miro schrieb mir Karten vom Meer, große Hotels waren vorne abgebildet oder die glänzende Adria. Er hat ein gutes Herz.

Suncanih pozdrava schrieb er (sonnige Grüße).
Er war viel auf dem Bau unterwegs und reiste den Jobs quer durch Jugoslawien hinterher.
Er ist fleißig, sagt seine Schwester, meine Mutter.
500 kg Pflaumen und Zwetschgen haben sie an einem Tag vom Boden gesammelt.

Mein Onkel Miro trägt den Frieden (mir) in seinem Namen, aber der Frieden flüchtete vor dem Krieg und überließ Miro jahrelang der Gewalt.

Mein Onkel Miro liegt nun im Krankenhaus, wiegt keine 50 kg mehr.

Alkohol sagt meine Mutter Nada, die die Hoffnung in ihrem Namen trägt (Nada=Hoffnung).

„Warum trinkt er so viel?“, frage ich sie, „War er im Krieg an der Front?“

„An der vordersten“, sagt die Hoffnung, die keine Hoffnung mehr hat, dass der Frieden dem Alkohol entsagt.

„Er müsste zum Psychiater.“, merkt die Hoffnung an, „Aber du weißt wie die unten sind, die verstehen ihn nicht. Nur ich verstehe ihn, ich sage ihm immer, lass die Flasche. Aber dann starrt die Tuga (Trauer) aus seinen Augen und er sagt: Ich will ja, aber ich kann nicht vergessen. Weißt du, was am schwersten war, Hoffnung? Die Gedärme meiner Freunde auf dem Feld aufzusammeln, das war am schwersten.“

Milan - I do not know what you are fucking saying man. - Kako neznas?


Kurzfilm der Münchener Regisseurin Michaela Kezele.

Bewegend.

Links:

Grand Prix für Milan

Artikel auf ARTE


Spiegel