15. April 2015

Eine Zigenuer-Recycling-Tragik-Komödie


“The most copied documentary on the Balkan black market”
- Croatian 'Nacional' weekly

- Gezeigt auf über 100 Festivals, mehrfach preisgekröntKonstant schwanke ich zwischen amüsiertem Lächeln und Betroffeneheit.

„Bio mi majka u Podgoricu, sta se udavio na brodu. Umro, ne znam sta, bio sam u Podgoricu ...“ (Meine Mutter war in Podgorica auf einem Schiff und ertrank, ich weiß nicht genau, ich fuhr dann nach Podgorica ...)

So sprechen die Roma im Film „Pretty Dyana“ des serbischen Regisseurs Boris Mitic.

Erstens liegt Podgorica nicht direkt am Meer, zweitens bleibt ungeklärt, wieso die Mutter des Roma auf dem Schiff oder Boot ertrank und drittens stimmt es mit der serbischen Grammatik hinten und vorne nicht. Ich hätte mich den gesamten Abend amüsieren können, denn die lustige Art und Weise, wie Roma das Serbische biegen und brechen wirkt unweigerlich belustigend und geht leider bei der Untertitelung komplett verloren, nimmt dem Film viel von seiner Wirkung.

Ich hätte den ganzen Abend lachen können, wären da nicht Bilder, wie ein kleines Roma-Mädchen mit nur einem Rollschuh fährt, mit wilden Haaren, wäre da nicht ein Kind ohne Hose, ohne Schuhe, spielten die Kinder nicht auf einem Haufen Papiermüll und sähen sich weggeworfene Zeichnungen anderer Kinder an, weil sie selbst vielleicht nicht einmal Stifte besitzen.

Während ich mir die Low-Budget-Doku ansehe, deren Produktionskosten nur 60 Eur betrugen und die hinterher über 50.000 Eur eingespielt hat, schwanke ich wiederholt zwischen himmelhoch-jauchzend und zu Tode betrübt. Jauchzend wegen der erwähnten lustigen Sprache und der skurrilen Situationen und betrübt, weil es der Film schafft, die Absurdität dieser Lebensweise, die Armut aber auch die Lebensfreude und den Humor der Roma einzufangen.

Der Film porträtiert eine Gruppe Roma, die am Rande Belgrads vom Müllsammeln lebt. Sie nutz dazu das Automodell  Dyane von Citroën, denn dieses lässt sich bis auf die Karosserie auseinandernehmen und zu einem Transportmittel umbauen, für das man keine Steuern mehr und keine Versicherung zahlen muss. Der hintere Teil wird als Ladefläche für Karton, Glas und Metall verwendet. Diesen Müll sammeln die Roma und fahren ihn zu Unternehmen, die ihnen je nach Material ein paar Dinar pro Kilo zahlen. Finden Sie nur Karton, verdienen sie 2 Euro am Tag. Ein Euro geht für Benzin drauf, einer bleibt zum Leben, vorausgesetzt die serbische Polizei hat einen guten Tag und hält die abenteuerlichen Gefährte nicht auf und verteilt Strafzettel wegen Fahrens ohne Führerschein oder weil normale Straßen mit diesem Gefährt gar nicht befahren werden dürfen.

So sind also auch die Romakinder, die in jungen Jahren schon am Steuer sitzen und arbeiten, immer auf der Hut vor der „murija“.

Das Paradoxe ist, dass es in Serbien kein offizielles Recycling gibt und die Roma also eigentlich einen wertvollen Beitrag leisten, dennoch leben sie in illegalen Siedlungen, bekommen Strafen aufgebrummt und landen dann auch schon einmal 30 Tage lang im Gefängnis, wenn sie die Strafen nicht bezahlen können. Und der serbische Staat denkt gar nicht daran, eine Mülltrennung einzuführen, den Müll der illegalen Deponien zu beseitigen oder die Roma einfach zu Recycling-Mitarbeitern mit festem Gehalt zu erklären.

Diese leben also in Bretterbuden abseits der Gesellaschaft in einer Art Ghetto ohne Strom und fließend Wasser.

„Znamo i mi da smeta, ali nemamo gdje.“
(Wir wissen auch, dass unsere Siedlung stört, aber wo sollen wir hin?)

Eines Tages muss die Siedlung nämlich weichen und mit ihr die Menschen.

 Bedrückt bin ich, wenn Adem mit überbordendem Stolz zeigt, dass er einen Zigarettenanzünder an seiner Dyana hat, dass er sein Handy über eine Autobatterie laden kann oder wenn ein anderer aus dem Gefängnis zurückkehrt und seine kleine Tochter ihn nicht wiederzuerkennen scheint.
Aber Boris Mitic konzenteriert sich nicht auf die Armut und das Negative. Sein Film sei einer der wenigen, den die Roma wirklich mögen im Gegensatz zu „Shutka, book of records“, in dem die größte Romasiedlung Europas in Skopje dargestellt wird.

Sie mögen den Film, weil er zeigt, dass Roma arbeiten, weil er zeigt, dass sie handwerklich begabt sind und immer noch lachen können, sie kommen zu Wort und dienen nicht nur als Witzfigur am Rande der Gesellschaft.

Bedrückt bin ich, wenn Adem sagt, er sei Musiker gewesen und er hätte für die Serben im Kosovo gekämpft, aber weder die Kosovo-Albaner, noch die Serben scheinen Wert auf die Roma zu legen.

In der anschließenden Diskussion, bei der der Regisseur Mitic anwesend ist, setzt sich dann der Humor wieder durch. Im Fragenteil fragt doch tatsächlich eine Deutsche: „Ich verstehe das nicht, haben die alle KFZ-Mechniker gelernt?“

Boris Mitic, der Jahre an der Seite der Roma verbracht hat und ihnen immer wieder in allen Lebenslagen geholfen hat, versucht uns, ihre Kultur und Denkweise näherzubringen.

„Ich habe die Kinder zum Schulunterricht gebracht, ich habe ihnen Schulsachen gekauft, damit sie ja auch hingehen. Ihnen Kleidung gekauft, Essensgeld gegeben, die Erwachsenen bei Eheproblemen zum Hodza gefahren und mir sogar ihre Sexualprobleme angehört. Ich habe komplett Verantwortung übernommen, vor allem für die Kinder und deren Schulbesuch. Eines Tages, ich war auf einem Dokumentarfilmfestival, rief mich ein Lehrer an und sagte: Ihre Kinder kommen nicht zur Schule! Ihre Kinder! Als ob es wirklich meine wären.“

Überhaupt sei es schwierig, die Roma zu integrieren, erzählt Mitic. Wir können nur schwer nachvollziehen, wie sie ticken. Von Selbstzerstörung mit Seele oder „Gypsy baroqueness“ ist die Rede, von einer Welt, zu der wir keinen Zugang haben, in der andere Regeln gelten.

Boris hatte alles getan, um seine Roma-Freunde zu überzeugen, wie wichtig Schule und Bildung sind, aber nachdem die Kinder zwei Wochen lang zur Schule gegangen waren, hatte eines davon einen bösen Traum und schlussfolgerte daraus, dass es besser sei, lieber nicht mehr in die Schule zu gehen. Alle anderen Kinder schlossen sich dem an und fortan war das Thema Schule ad acta gelegt.

Boris Versicherungen er werde Arbeit beschaffen, wurden mit dem Kommentar versehen: „Posao? Znas ti koliko je to odgovornost svaki dan posao?“ (Weißt du denn, wie viel Verantwortung das ist, jeden Tag arbeiten zu gehen?)

Verschiedene Intergrationsversuche auf kreativer Basis liefen auch ins Leere. Integrationsversuche im Rahmen der
International Romani Film Commission scheiterten, weil es zahlreiche Teilnehmer nicht schafften, einen 30 Sekunden langen Film zu drehen.

Soweit ich Mitic verstanden habe, muss man die Roma auch nicht gänzlich integrieren, sondern ihnen bessere Bedinungen verschaffen z. B. könnte das Müllsammeln erleichtert und fair bezahlt werden oder sie müssten feste Wohnsitze erhalten. Für die Romakinder gilt zwar auch eine Schulpflicht, aber da es niemanden kümmert, ob sie in die Schule gehen, wird dies bei ihnen auch nicht weiterverfolgt.

„Pervers“ und „Krank“ nennt Mitic hingegen die TV-Shows wie „My big fat gypsy wedding“ oder „Gypsy Sisters“. Wir machen die Sinti und Roma zu Klischee-Figuren und spielen Voyeure, die sich an einer auch noch überspitzten Absurdität ergötzen.

In Pretty Dyana dagegen sind die Roma keine Freaks, die sich in tonnenschwere Brautkleider werfen, die an eine explodierte Sahnetorte erinnern. Sie lieben ihre Dyana, die sie nie hergeben würden, immerhin fährt der Wagen 500 km am Tag. „Ich kann überall hin, was will ich mehr?“, so Adem.

„They have an amazing lack of admiration for material things.“, sagt der Regisseur. 
(Es ist erstaunlich, wie wenig Wert sie auf Materielles legen). „Und sie verlieren nie ihren Humor, nie. Selbst als sie Pretty Dyana zum ersten Mal sahen, haben sie über sich selbst gelacht, man muss sie lassen, wie sie sind.“

 Pretty Dyana auf Vimeo

Pretty Dyana bei Dribbling Pictures (inkl. Auseinander-Bauanleitung für Dyanas)

Knjiga rekorda Sutke