29. Januar 2013

Balkanina, pack deine Brüste ein!


Gerade liefen ein paar Fashion Weeks und nach einigen Monaten Bloggen wird es wirklich an der Zeit zu meinem Lieblingsthema zu kommen.

Mode

Nun verhält  es sich meiner Meinung nach auf dem Balkan so:

Entweder der- oder diejenige hat Stil oder er oder sie hat ihn nicht.

Natürlich gibt es eine „Mittelschicht“, aber ich habe das Gefühl, diese ist nicht sehr ausgeprägt.

Frauen aus Balkanländern sind entweder stilsicher und wissen Bescheid oder sie meinen, sie seien es und sehen nachher so aus wie Heidi aus der Schweiz (siehe anderer Blogeintrag) und die kleine Schwester von Cindy aus Marzahn oder die Tochter von Miss Piggy.

Es war gar nicht so einfach, diesen Blogpost zu schreiben.
Ich habe kaum Fotos von Sängerinnen gefunden, die tatsächlich auch etwas anhaben. Natürlich kann und will ich nicht Fotos von Unbekannten nehmen, aber jeder Schwabo (also ihr Deutschen, ja ihr seid alle Schwaben, auch wenn ihr Sachsen seid…) muss sich nur an einem Samstag in eine Jugodisco stellen und er wird wissen, was ich meine. (Nein, nein, das ist nicht der Beate Uhse-Shop..geh nur weiter…)

Auf jeden Fall möchte ich dazu beitragen, das Land, das Karl Lagerfeld und Jil Sander, Escada-Mode und Wolfgang Joop hervorgebracht hat, vor optischen Balkan-Super-GAUs zu schützen und deshalb habe ich die wichtigsten Fashion-Gebote zusammengestellt. :-)


  1. Gebot:
Sandra Afrika

Du sollst nicht zu viel Haut zeigen.
Entweder die Beine sind entblößt oder du zeigst  ein wenig Dekolleté, aber bitte nicht beides zusammen. Nackte Arme, Beine, Brüste, Hintern…konzentrier dich auf eins.
Von mir aus auch auf den Hintern.


  1. Gebot

Ceca

Goga Sekulic
Auch wenn du viel für deine Lolo-Ferrari-Brüste gezahlt hast, und alles andere bedeckst: nicht jeder will die Asymmetrie oder aufgesetzten Fußbälle sehen.
Ja, auch wenn die Queen Ceca sie einem um die Ohren haut, man sieht selbst unter einem Cashmere-Rollkragen-Pullover, dass du zünftig Holz vor da Hüttn host und potenzielle Nachkommen bis in die 3. Generation mit Milch versorgen kannst.
Balkanina, pack deine Brüste ein, Balkanina zieh dir bitte etwas an!





  1. Gebot

Rada Manojlovic

 Ok, du zeigst „nur“ Bein, weil das Geld für die OP noch nicht reicht. Trage trotzdem keine Röcke, die so kurz sind, dass man dir von unten bis rauf zu den Mandeln sehen kann. Ich habe Gürtel, die breiter sind. Nennt sich auch dopicnjak.


Jadranka Barjaktarevic




  1. Gebot

Vesna Vukelic




Übertreibs nicht mit dem Schminken. Zu viel Chemie im Gesicht wirkt nicht sexy.

Wenn du dir das Make-Up abends mit dem Spachtel abnehmen musst und beim Douglas mit dem Gabelstapler einkaufst, dann trägst du zu viel Make-Up.
Ja, es gibt Paradiesvögel, die so aussehen wie du, aber es sind meistens die Männchen, die sich schmücken, weil sie um die Weibchen werben. Zeig doch bitte nicht so direkt, dass du auf der Balz bist, du sollst erobert werden und nicht andersherum. Ansonsten: wander auf die Molukken aus.




  1. Gebot

Dragana Mirkovic

Milica Pavlovic, Jugoschweizerin


Manchmal ist weniger mehr. Ein auffälliges Oberteil, dazu eine bunte Hose, viel Schmuck und ein Liter Parfum? Warte mal, ich google was für dich....





  1. Gebot

Sei natürlich(er). Falsche Wimpern? Falsche Brüste? Kunstnägel? Extensions?
Mädel, bist du vom Balkan oder aus China? So viel Plastik verschmutzt den Stil.



  1. Gebot

JK
Du brauchst keine Dauerkarte für das Solarium, bis du aussiehst wie Michael Jackson rückwärts im Zeitraffer. Es gibt auch andere Situationen, in denen es heiß wird und du dich schnell ausziehen kannst.



  1. Gebot


Marina Viskovic

Du sollst kein Polyester und Kunstleder tragen. Es gibt Stoffe wie Baumwolle, Leinen, Leder, Wolle, Seide. Eine Louis Vuitton wird auch nicht echter, wenn du sie auf der bosnischen pijaca kaufst und zu Uggs trägst.



  1. Gebot

JK
Weißblondierte Haare können nur Heino und Agyness Deyn tragen und nur die.




  1. Gebot

Seka Aleksic
Trage jenseits von Größe 38 nichts Enges (und Bauchfreies) und schon gar nicht von Kopf bis Fuß.


11. Gebot:

Teil dir dein Hyaluron und Silikon besser ein!

Nina Modric

Severina

Nina, keine Sängerin, geht ja auch gar nicht mit den Lippen.

Pack deine Brüste ein.






Help wanted!!!!


 Mich erreichte folgende Bitte eines Slawistik-Studenten.

Bitte macht mit!
Falls ihr Lust habt, schreibt bitte eine Mail an: sp@carpeverba.de


Ich schreibe grade meine Doktorarbeit am Slavistik Institut in Regensburg) über die kroatische, serbische und bosnische Sprache (ehemals „Serbo-Kroatisch“) in Deutschland. (Second Generation Speech: ‚BKS’ der zweiten Generation in Deutschland“)
Zu diesem Zwecke mache ich eine Umfrage. Es wäre SEHR nett von Dir, wenn Du 15 Minuten (länger dauert es nicht) Zeit hättest und den Fragebogen ausfüllen könntest. (Du wirst sehen, die Fragen sind interessant)

Du kannst wie folgt vorgehen:

a.) Eine Word-Datei von mir zugeschickt bekommen und du kannst die am Rechner ausfüllen. Die Einzige Schwierigkeit dabei ist, dass Du bei Frage 46 deine Tastatur auf kroatisch/serbisch/bosnisch umstellen müsstest.

b.) Oder Du kannst eine PDF Datei ausdrucken und das Ganze mit der Hand ausfüllen und an meine Adresse per Post oder E-Mail-Scan verschicken.

c.) Oder: Die Variante finde ich am besten. Du gibst mir deine Postadresse, ich schicke Dir dann 3-4 ausgedruckte Fragebögen und ein frankierten Postumschlag mit. Die Fragebögen kannst Du dann (wenn Du Zeit und Lust hast) auch an deine Geschwister oder Freunde verteilen. Das Ganze dann an mich zurückschicken.


Ich bin wirklich auf deine Hilfe und Gnade in dieser Sache angewiesen, denn ich brauche mindestens 200 Stück um die Sache repräsentativ zu machen.

27. Januar 2013

Lady completely Gaga!?


Sie hat sich einen fünfzackigen Stern in den Bauch geritzt und sich unter einen Wärmestrahler gelegt, damit die Wunde stärker blutet.
Sie hat einen fünfzackigen Stern am Boden angezündet, bis ein Baum in der Nähe Feuer fing.
Sie hat sich ihre langen Haare abgeschnitten, ihrem Freund erlaubt mit einem Pfeil auf ihr Herz zu zielen.
Sie gestattete anderen Menschen, sie mit Gegenständen zu quälen, sie zogen sie aus und hätten sie beinahe umgebracht und zuvor vergewaltigt.
Sie zeigte ihre Nacktheit, legte sich auf Eisenstäbe über Kerzen und ohrfeigte ihren Partner öffentlich und ließ sich ohrfeigen.
Sie putzte einen Haufen Rinderknochen und sang dabei Klagelieder.
Sie lebte bei den Aborigines und den Tibetern und legte unzählige Kilometer auf der chinesischen Mauer zurück.

Was ist diese Frau?
Verrückt?

Oder einfach die momentan renommierteste Performance-Künstlerin der Welt.
Die Rede ist von Marina Abramović, die am 30.11.1946 als Tochter von Partisanen und Enkelin eines Patriarchen der Serbisch-Orthodoxen Kirche in Belgrad geboren wurde.
La Times

Ich interessiere mich für Kunst, aber um ehrlich zu sein, konnte ich mit Performance noch nie etwas anfangen. Oder mit Bildern, die nur zwei Striche aufweisen und dann für Millionen Euro verkauft werden, aber sie hat es geschafft, was vorher keinem gelang.
Ich verstehe, was sie durch ihre Kunst sagen möchte, oder meine zumindest, es zu verstehen.

Marina studierte zunächst fünf Jahre lang Malerei in Belgrad und bald danach lehrte sie bereits an der Akademie der Bildenden Künste in Novi Sad. Im Anschluss war sie in Paris, Berlin, Hamburg und Amsterdam tätig.

Aber für mich persönlich ist es gar nicht wichtig, ob sie an der Académie des Beaux-Arts lehrte oder nicht. Was mich an ihr fasziniert, ist ihre Art, Emotionen zu übermitteln, so dass Kunst plötzlich nichts Abstraktes ist, sondern etwas Reales, sie ist zum Greifen nah, erlebbar und zutiefst emotional.

Es ist ganz offensichtlich, dass Marina ihre Kunst nicht wirklich inszeniert, sondern lebt.

Der Mann, der den Pfeil auf ihr Herz richtete, war der deutsche Künstler Ulay, mit dem sie mehrere Jahre eine Beziehung führte und zusammen sehr körperbezogen performte.

Sie trennten sich nach Jahren in einer dreimonatigen Prozedur, in der sie auf der chinesischen Mauer aufeinander zugingen.

In einem Interview sagte sie: „Ich war 40, fett, allein, ohne Job. Ich hatte nichts mehr, denn mein Job war es ja, mit ihm aufzutreten.“

2005 ging sie nach New York und mit der Zeit avancierte sie zum Künstler-Rockstar.

Was ist es, das andere so in den Bann zieht? Ihre Schönheit? Nein, sie ist keine klassische Schönheit und dennoch anmutig. Ihre Offenheit? Dass man das Gefühl hat, dass sie immer sie selbst ist, ohne eine Maske zu tragen, dass sie anscheinend ihr ganzes Leben öffentlich verarbeitet?

Marina Abramović hatte ein kühles Verhältnis zu ihrer Mutter Danica, die sie nie in den Arm genommen oder geküsst hat. Als 3-Jährige wurde Marina von ihrer Oma gehütet, die mit Essensmarken um Lebensmittel anstehen musste und Marina dann alleine daheim ließ.
„Sjedi tu za stol i ne setaj po kući“, hatte sie ihrer Enkelin eingebleut. (Setz dich hierhin und beweg dich nicht.)

Als die Großmutter nach Stunden nach Hause kam, saß Marina immer noch regungslos am Tisch und hatte nicht einmal das Glas Wasser angerührt.

Lag es daran, dass sie Jahre später drei Monate am Stück jeden Tag von morgens bis abends regungslos auf einem Stuhl im MOMA in New York saß und eine ihrer erfolgreichsten Darbietungen präsentierte: The artist is present.

workloveplay. Gewann den Publikumspreis der Berlinale


Über 700 Stunden nahezu regungslos auf einem Stuhl, der für alle Fälle mit einem Loch ausgestattet war, falls die Künstlerin irdischen Substanzen freien Lauf lassen musste. Ihr gegenüber nahmen Menschen Platz und fingen unter Umständen schon nach wenigen Augenblicken an zu weinen. Sharon Stone nahm Platz, genau so wie James Franco. Die Menschen rissen sich darum, auf diesem Stuhl zu sitzen und kampierten vor dem MOMA.
Als ich im Sommer selbst im MOMA war, habe ich das auch erlebt, aber da war ganz profan Robert Pattinson das Objekt der Begierde.

Aber eine damals 63-Jährige, die nicht nur Frauen sondern auch Männer zum Weinen bringt?
artnet
Die Lady Gaga zu Lobeshymnem veranlasst, die als reine Quelle der Inspiration bezeichnet wird?

Ich kann es verstehen. Marina wirkt authentisch in allem, was sie tut. Sie scheint sich nicht darum zu kümmern, was andere von ihr halten und sie sagt Dinge, die letztendlich doch plausibel klingen. Was macht es schon, wenn sie nach einer Darstellung unter den Tisch kriecht und die Kleinkindstellung einnimmt, weil ihr ganzer Rücken schmerzt? Wen kümmert es, ob es dämlich aussieht.

Nun werden böse Zungen behaupten, dass es keine Kunst sei, still zu sitzen und fremde Menschen anzustarren, aber nach unzähligen Stunden Yoga und Meditation kann ich sagen: Es ist verdammt schwer. Der Geist hält nicht still, ja man fühlt sich fast bedroht, nichts tun zu müssen oder zu können. Man will sich bewegen, sich kratzen, irgendwann schmerzt jeder Muskel und jeder Knochen. Und die Gedanken.
Sie rasen und machen es fast unmöglich, abzuschalten.

In Dokumentarfilm „The artist is present“ beschreibt die Künstlerin, dass es nicht um sie geht bei ihrer Darstellung. Die Menschen benutzen sie als Spiegel, sie sieht viel Wut sagt sie in den Gesichtern, Neugierde oder Schmerz, sehr viel Schmerz. Manche Menschen tragen so viel Schmerz mit sich herum.

Und wann sehen wir fremden Menschen schon lange und intensiv in die Augen? Sind sie denn etwa nicht der Spiegel der Seele? Was zeigt die Seele?

„She slows everyone down“, heißt es im Film. Manche Menschen sind so gestresst, dass sie einfach in das Museum kommen, um den ganzen Tag still zu sitzen.


Aber warum verletzte sie sich so oft selbst?

Wenn man durch den Schmerz geht, lernt man zu verstehen, wie man ihn kontrollieren kann. Wir wissen, wie Computer, aber nicht mehr, wie Körper und Geist funktionieren. Dabei wären wir allein durch unseren Willen in der Lage, Blutungen zu stoppen, den Herzschlag zu reduzieren, die Körpertemperatur ansteigen zu lassen. Es ist unglaublich, wozu wir fähig wären, wären wir keine Invaliden. Wir orientieren uns nach außen anstatt nach innen. Der Körper ist ein Kosmos. Ihn zu verstehen, heißt, das Universum zu verstehen. Die Performance ist für mich ein Werkzeug. Ich zeige dem Publikum: Wenn ich durch diesen Schmerz gehen kann, dann könnt ihr das auch (...) Nein. Der Schmerz verschwindet. Ich weiß nicht, wohin, aber irgendwohin. Das Gefühl ist wundervoll. Denken wir an all die religiösen Praktiken, bei denen man einen ekstatischen Zustand erreichen kann, der Körper plötzlich nicht mehr reagiert, ganz gleich, was man ihm antut. Wenn man sich selbst Schmerz zufügt, um sich vom Schmerz zu befreien, dann ist Schmerz in Ordnung.“

Warum verbrannte sie den Stern in Belgrad? Auflehnung gegen sozialistische Strukturen, sagt sie.

Warum putzte sie Rinderknochen und sang dabei Klagelieder aus Serbien und Montenegro? Verarbeitung des Krieges, sagt sie.
(Das Werk, das auch bei ARTE ausgestrahlt wurde, heißt Balkan Baroque. Hier zu sehen!. Nesreca...strah...odlazak...)

Warum durften andere Menschen sie verletzen?
Sie wollte zeigen, zu was Menschen fähig sind, wenn man ihnen Macht gibt und dass einige sie missbrauchen würden. Sie hatten nämlich jegliche Verantwortung abgegeben und ein Schreiben unterzeichnet, in dem die Künstlerin die alleinige Verantwortung übernahm.

Sie wurde ausgezogen, stranguliert und geschnitten. Bestie Mensch.

Im Stern war letztens ein Artikel über charismatische Menschen und entweder man hat Charisma oder man hat es nicht.
Ist das das Geheimnis um den Kunst-Hype um Marina?
Landet sie deswegen auf dem Cover der Elle?

Ich für meinen Teil sehe nichts Abgehobenes an ihr, keine Allüren und keine Arroganz, sondern eine schonungslose Offenheit. Ich sehe eine Frau, die ihrem Expartner nach zwanzig Jahren noch sanft in die Augen sieht, die am Grab der Mutter weint und gnadenlos ehrlich ist. Einfach existiert. Ihr Horizont kommt mir weiter vor, als der eines Damien Hirst hoch zehn, denn ihre Tiefe werden seine Diamantschädel nie erreichen.


Zitat Marina: „Der Mensch hat vor zwei Dingen Angst: vor seiner Sterblichkeit und vor dem Schmerz. Nur wenn man sich von beiden Ängsten befreit, kann man sein Leben geniessen. Und das tue ich jetzt.“


Ja, sie wirkt wahrlich befreit.



Lady Gaga about Marina:


Marina on Atlas TV (Serbokroatisch) 1:


Marina about Lady Gaga and life in NY, Crna Gora etc:


Marina on Belgrade Culture:




Sneki







24. Januar 2013

Jugoschwabo goes fejsbuk

Yes, die alte Mara hat meine Freundschaftsanfrage auf fb angenommen!




Nun ja im Zeitalter der Medien et voila: Nun ist der Jugoschwabo auch auf Facebook.

Kann lustig werden, schnell mal ein tolles Lied posten, einen Witz über dumme Bosnier oder faule Montenegriner, über Mujo und Fata:-) oder einfach auch mal Belangloses quatschen...

Evo me na fejsbuk! 

Doch doch..habe das bei einem Jugopapa genau so gelesen!

Vidimo se!

17. Januar 2013

Wer bin ich und wenn ja, wie viele?



Im Dezember war ich in Italien.
Wir fuhren eine kurvige Bergstraße hinab, das Wetter war kalt und grau und in den Bergen lag Schnee.

Ich war in Gedanken versunken, eingelullt durch die Wärme im Auto.
Ich warf nur einen flüchtigen Blick nach vorne durch die Scheibe und nach der nächsten Biegung lag er da – der See. So wunderschön, glitzernd und ruhig, gesäumt von Zypressen, die plötzlich von der Sonne beschienen wurden.

Auf einer kleinen Insel im See stand eine Villa wie aus einem Märchen, Schwäne schwammen auf dem Wasser.
An den Berghängen war der Boden komplett von Weinreben bevölkert, die ihren Winterschlaf hielten.

Die Szenerie hätte getrost genau so auf eine idyllische, verwunschene Postkarte gepasst.
Alles sah so friedlich aus und ich war glücklich, in einem meiner Lieblingsländer zu sein.
Und dann fiel mir auf, dass ich so nie an Bosnien dachte.

Als ich noch ein Kind war, freute ich mich immer wahnsinnig auf die Sommerferien und wenn ich den ribnjak (Fischteich) sah, wusste ich, ich bin gleich daheim.

Doch heute? Es kommt mir vor, als ob ich lieber eine andere Staatsangehörigkeit hätte.
Hätte der liebe Gott mich vorher gefragt: Na du, wo willst du denn hin, hm? Ich hätte nicht lange überlegen müssen: Tolle Schuhe, tolles Wetter, Pasta, das Meer, die Sprache, die Mode, die tausende Jahre alte Geschichte, Opern…(die Mafia und Berlusconi klammern wir mal aus ;-) ): ich wäre Italienerin geworden.

Manche Menschen kommen ja im falschen Körper zur Welt, kann es so etwas nicht auch bei Nationalitäten geben?
Ich kenne Leute, die aus Bosnien sind und dann aber sagen, sie seien Kroaten oder Serben, aber das ist wieder eine andere Geschichte. Ich habe stets gesagt: Ich bin aus Bosnien.

Und dann tut mir Bosnien aber Leid. Ex-Jugoslawien allgemein.

Die Länder haben seit dem Zerfall selbst mit ihrer Identität zu kämpfen und obwohl es innerhalb Jugoslawiens immer Spannungen gab, kam der Krieg für die internationale Politik überraschend.

Plötzlich war man nicht mehr ein „WIR“, sondern ein „wir“ und „die anderen“.
Man war nicht mehr Jugoslawe, nicht mehr Kommunist und die Religion schien auf einmal (wieder) wirklich wichtig zu sein und ein mächtiges Abgrenzungsmittel und wie oben beschrieben: Manche Bosnier bezeichneten sich selbst nicht mehr als selbige, so groß war die Kluft auf einmal.

Ich weiß nicht einmal mehr, welche Sprache ich spreche, aber das ist auch wirklich ein Thema für sich.

Aber ich bin aus Bosnien, Italien hin oder her. Man kann´s nicht ändern. Oft überwiegt einfach die Wut über das, was in diesem Land passiert ist. Ist es eine Art Scham, dass ausgerechnet in „meinem“ Land so ein schlimmer Krieg wüten musste? Stehen wir jetzt nicht allesamt als Barbaren und primitive Völkermörder da, weil wir es im 20. Jahrhundert geschafft haben, den schlimmsten Krieg in Europa nach dem 2. Weltkrieg zu führen? Wieso sollte ich mich mit so etwas identifizieren? Und dieser Krieg ist so furchtbar, so prägend für die Region, dass er trotzdem stets wie ein Damoklesschwert über einem schwebt, auch wenn es genug andere Themen bezüglich Ex-Yu gibt.

Bist du Serbe/Kroate/Bosnier/Makedonier was auch immer, trägst du einen Stempel auf der Stirn, auf dem steht: in Ex-Yu war Krieg und die Auswirkungen sind auch heute präsent.
Hinsichtlich meines Zugehörigkeitsgefühls kam erschwerend hinzu, dass ich während des Krieges und auch danach nur wenig Beweggründe gesehen habe, mich in die „Heimat“ zu begeben. Aber habe ich mich ernsthaft für meine Herkunft geschämt: Nein, habe ich nie. Seit dem Krieg war aber definitiv ein Einbruch da und das Interesse an Ex-Yu war nur bedingt vorhanden, erst in den letzten Jahren kam es langsam wieder hoch, denn man kann von seinen Wurzeln nun einmal nicht weglaufen.

Daher auch die Auseinandersetzung in diesem Blog.

(Und nicht nur ich befasse mich damit. Auch Ana findet es schade, irgendwie niemals richig Deutsche zu sein. Besucht ihren Blog Hallo Jugoslawien)

Das Thema Identität ist nur so schwer, so unglaublich schwer, komplex und rechercheintensiv.

Ich habe gelernt, dass es verschiedene Identitäten gibt, mit meiner persönlichen Identität habe ich auch keine Probleme. Ich bin Snjezana, so und so viel Jahre alt, mag das und das und bin von Beruf dieses und jenes. Soweit so gut.

Was aber ist mit der kulturellen und sozialen Identität, um die geht es eigentlich.
Das Wort Identität ist vom Lateinischen „Idem“ abgeleitet, was so viel wie „derselbe“ oder „der Gleiche“ bedeutet.
Sind wir Jugos denn alle gleich?

Wo sitze ich denn mit meiner kulturellen Identität? Wieder zwischen den Stühlen? Und ohne jetzt noch viel überlegen zu müssen, sage ich ja! Ein Hybrid auf immer und ewig, was nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein muss. Dennoch kann ich mich schwer dazu durchringen, es als einen Idealzustand zu bezeichnen.

Viele Migranten fühlen sich so. Viele Mexikaner, die in den USA leben, bezeichnen sich selbst oft als „chicanos“. Sie nennen sich also nicht US-Amerikaner oder Mexikaner, sondern sie haben einen anderen Begriff gefunden. 

Es gibt verschiedene Stufen der Assimilation von American, Latin American bis hin zum chicano und Mexican.

Dabei hängt es, wie ich gelesen habe, stark davon ab, wie gut jemand seine Muttersprache bzw. die Muttersprache seiner Eltern spricht und damit wird ein Punkt aufgeworfen, über den ich mir nie so im Klaren war, da ich immer Deutsch konnte, habe ich darüber nicht viel nachgedacht.

Je besser ein Migrant oder Migrantenkind die Sprache der neuen Heimat spricht, umso schwächer ist die emotionale Bindung an das Herkunftsland und somit das Gefühl der kulturellen Zwiespältigkeit.

Andererseits kann es zu einem Verlustgefühl kommen, wenn man nicht zweisprachig aufwächst:



Kann gut sein, natürlich haben meine Eltern einen ganz anderen Bezug zu Deutschland und zu Bosnien als ich und tatsächlich ist jemand umso mehr ein Schwabo, je schlechter er Serbokroatisch spricht, während diejenigen, die die neue Sprache kaum beherrschen, sich immer als Ausländer und Minderheit und als außerhalb der Gesellschaft fühlen werden. Migranten, die nach dem 15./16. Lebensjahr nach Deutschland gekommen sind und gerade so die Grenze überschritten haben, um Deutsch jemals auf Muttersprache-Niveau sprechen zu können, fühlen sich größtenteils auch nicht Deutsch und werden es nie und auch viele, die hier geboren wurden nicht, aber sie fühlen sich nicht so fremd.

Ich habe einige gefragt, was sie denn nun seien und wo ihre Heimat ist.
Viele haben gesagt, ich wohne in Deutschland, aber meine Heimat ist unten.
Viele sagten, beide Länder seien die Heimat aber so gut wie niemand sagte: Deutschland ist meine alleinige Heimat.
Wiederum andere konstatierten nur: Heimat ist da, wo man sich wohl fühlt.
Im Allgemeinen kenne ich nur wenige bis gar keine Jugos, die beim Fussball oder beim Eurovision Song Contest für Deutschland anrufen, selbst wenn sie einen deutschen Pass haben.

Keine Solidarität mit Mutter Deutschland.

Ich habe eine Freundin, die eine tolle Mischung aus deutschen, iranischen, hawaiianischen und ich glaube philippinischen Genen ist, sie hat für mich seltsamerweise keine Probleme damit, sich das Gesicht in Schwarz-Rot-Gold anzumalen, wenn Deutschland Fussball spielt oder sich in ihrer Wahlheimat New York immer wieder in ein fesches Dirndl zu werfen.
Liegt es daran, dass sie nicht zweisprachig aufgewachsen ist, sondern nur mit Deutsch?
Von Identitätsproblemen keine Spur, nicht einmal jetzt, nachdem sie auch "emigriert" ist.

Fehlt den meisten Jugo-Migranten eine tiefere Bindung zu Deutschland, weil sie wirklich davon ausgingen, dass sie spätestens nach ein paar Jahren wieder daheim sein würden?
(Kann man sich überhaupt an einem Ort daheim fühlen, an dem man nicht aufgewachsen ist? Und wo fühlt sich die 2. Generation daheim?)

Viele haben nicht gut Deutsch gelernt und blieben unter sich, es bildeten sich so genannte ethnische Kolonien, die eine Einheit für sich waren. Man half sich gegenseitig, man war in der gleichen Situation und konnte die Gefühle des anderen nachvollziehen. Außerdem habe ich von einigen auch eine gewisse Verbitterung gehört: „Deutschland beutet uns doch nur aus, wir machen die Drecksarbeit, die die Deutschen nicht machen wollen. Dann kommen wir nach Jahren in die Rente und sind körperlich kaputt.“

Bei anderen wiederum sehe ich eine Art der Unsicherheit, vor allem bei älteren Menschen.
Sie haben Respekt vor den Deutschen, kuschen regelrecht, wollen nicht auffallen und nur ihre Arbeit machen. Sie fügen sich freiwillig in eine niedrigere Stufe der Hackordnung und haben als ungelernte Kräfte gar nicht das nötige Selbstbewusstsein, um sich ebenbürtig und damit integriert zu fühlen.

Selbst wenn die Deutschen dieses Bild gar nicht hatten (Fremdbild), hatten es viele Jugos sehr wohl (Selbstbild).
Aber wenn man mit einem Bündel Markscheinen nach Ex-Yu an die Adria fuhr, dann war man wer.
Abgesehen von der Arbeitsmigration, von der unsere Eltern betroffen waren, gibt es auch eine Transmigration. Migranten pendeln zwischen verschiedenen Ländern und haben sozusagen zwei Wohnorte.

Da Jugoslawien nicht so weit von Deutschland (vor allem Bayern), Österreich und der Schweiz weg lag, war es für viele gang und gäbe jedes Wochenende oder jedes zweite in die Heimat zu fahren.

Sie mussten sich nie von ihrer Herkunftskultur lange räumlich trennen wie Jugos, die z. B. nach Chicago ausgewandert sind, aber dafür haben diese einen starken Zusammenhalt, um ihre Kultur gegen allzuviel US-amerikanischen Einfluss zu „schützen“.

Generell wird einem Jugokind immer vermittelt, dass es stolz sein muss, dass sein Herkunftsland das beste und schönste der Welt sei und sowieso stammten alle bedeutenden Menschen der Weltgeschichte oder Erfinder aus Ex-Yu. 

Diesen Bann und die Verehrung dann in Deutschland zu brechen oder sich dem zu entziehen ist sehr schwer und ich denke, es gibt nur wenige, die sagen: Ich bin Deutsch.
Ich kann das, wie man in anderen Posts gesehen hat, auch nicht von mir behaupten, aber eine „Jugo“ bin ich nicht mehr, die deutschen Einflüsse sind zu stark und die Grenzen von einem zum anderen sind fließend. Im Grunde habe ich mich damit abgefunden beides zu sein, so wie jemand dessen Mutter Deutsche ist und dessen Vater sagen wir Franzose. 

Dennoch haben trotz einer gewissen Abgrenzung  laut meiner Recherche die meisten Jugos keinen direkten Rassismus erfahren, zumindest in der 2. Generation und abgesehen davon, dass kein Germane meinen Namen richtig aussprechen kann, muss ich sagen, dass ich auch nie welche erlebt habe, was es natürlich einfacher macht, sich zugehörig zu fühlen. 
Fühle ich oft eher Deutsch, weil meine Sprachbarriere im Serbokroatischen liegt? Weil ich nicht weiß, was „Gesinnung“ auf Jugo heißt? Generell sind Jugos sehr gut integriert und nahezu unsichtbar!

In vielen Telefonzellen gab es nicht einmal eine Beschriftung auf Jugo, lange dachte ich: „Ok, denken die jeder Jugo kann so gut Deutsch?“, aber dann erfuhr ich in einem Buch von Rüdiger Rossig (Hallo Rüdiger), dass sie sich nur nicht auf eine Sprache oder Bezeichnung einigen konnten. Wieder Zwist.

Die Migrationssoziologie sagt, dass die berufliche Qualifikation die Identität von Migranten beeinflusst. Kurz gefasst: Je höher die Bildung und Qualifikation, umso weniger Probleme hat der Betreffende, sich von der Bindung an einen Nationalstaat zu lösen und umso erfolgreicher kann er seine multiple Identität einsetzen.

Da die meisten Jugo-Migranten aber nicht hochqualifiziert waren, empfanden sie das Neue auch aufgrund der Sprachbarriere immer als fremd. Sie definierten sich oder definieren sich über ihre Zugehörigkeit zu einem Land, während sich höher Qualifizierte über ihre Leistung definieren und dazu beitragen, dass die allgemeine Identifizierung mit Staaten abnimmt.
(Was jetzt nicht heißen soll, dass alle ungebildet sind, die in Ex-Yu ihre Heimat sehen.)

Generell war oder ist der Zusammenhalt der Jugos (nach wie vor) stark, auch wenn der Krieg zu Feindbildern geführt hat. Es passiert oft, dass man z. B. in der S-Bahn Serbokroatisch spricht und wenn es verstanden wird, schaltet der andere sich in das Gespräch ein, weil er ja „nas“ ist, also zu „uns“ gehört. Es schwebt immer so im Raum: Ich bin „nas“, also hilf mir oder finde mich gefälligst sympathisch, ich gehöre zu „deinen“ Leuten.
Jugendliche treffen sich dann auf den bekannten Balkan- oder Jugoparties, erschaffen sich so ihre „peer group“ und ihr Klein-Jugoslawien. 
Ich weiß noch, wie ich auf den ersten Shljiva-Parties war. Tausende Menschen wollten hinein und feierten alle zusammen, als ob es den Krieg nie gegeben hätte und niemand fragt dort, „was“ du bist.

Ich habe einen Test im Internet gemacht. Sind Sie Deutscher?

Das ist das Ergebnis:

Ein typischer Deutscher sind Sie nicht. Sie sind eher verschiedenen Typen zuzuordnen. Mal gehen Sie es etwas gemächlicher an, mal bevorzugen Sie klare Regeln. Vielleicht gehört gerade dieses Wechselhafte zu Ihrer Lebensphilosophie und gibt eine vernünftige Mischung im Leben. 

Wechselhaftigkeit? Ja, ein Jugoschwabo eben und es ist ok, sich aus beiden Kulturen das Beste anzueignen und zu genießen.

Interessante Arbeit: Identitätsbildung von Migrantenkindern 

Auszug aus obiger Arbeit von Andrea Kirstein:





LG

Sneki





10. Januar 2013

Heimatlos? Heimat! Los!

Das vertraute Fremde

Dies ist nicht mein Land
nicht die Töne die vertraut fremden
nicht die Gesichter die bekannten
die ich nicht kenne

Dies ist nicht meine Erde
die schwarze kühle
nicht meine Klänge und Gesänge
die ich nicht fühle

Hier sind nicht meine Wurzeln
sie greifen nicht in diesen Boden
ankern mich nicht fest
weil meine Seelen hier nicht wandeln

Dies ist nicht mein Heim
ist nicht was ich bin
hier ist nichts was mich hält
dies ist nicht meine Welt

Hier fließt nicht meiner Ahnen Blut
nicht ihre Tränen oder Schweiß
schreit nicht ihrer Lenden Frucht
die ich nicht kenne
von der ich nichts weiß

8. Januar 2013

Ich habe keinen Kommunismus, weil ich Milch trinke



Heimatliebe


von Dubravka Ugrešic

Heimatliebe gehört zur Psychopathologie des menschlichen Verhaltens. Ihre Perversität kann sich nur mit der Liebe zu Gott messen. Die Paraphilie wird unter anderem als «Liebe zu einem nichtmenschlichen Objekt» definiert. In diesem Fall bezeichnet der Begriff Liebe eine impulsive und obsessive sexuelle Erregung, ausgelöst durch ein bestimmtes, nichtmenschliches Objekt. Allerdings lehnen heute viele Psychiater das Wort Paraphilie als negativ besetzt ab und benutzen lieber die neutrale Bezeichnung mentale Störung.

Die Liebe zur Heimat ist ein auf ein «nichtmenschliches Objekt» gerichtetes Gefühl. Wieso hat es außer der Heimatliebe keine andere psychopathologische Neigung geschafft, als normal angesehen zu werden? Wieso wurde außer dieser keine andere legalisiert und institutionalisiert? Wieso besitzt keine andere eine solche gesellschaftliche Macht, warum kann keine auf eine so lange und reiche Geschichte der eigenen Macht zurückblicken? Wie ist es also zu der Umkehrung gekommen, dazu, dass sich etwas in seinen Grundvoraussetzungen Abnormes in etwas Normales, ja Wünschenswertes verwandelt? – Ganz einfach. 
Es genügt, unser nichtmenschliches Objekt zu humanisieren, und unsere Liebe zu ihm wird normal und verständlich. Deshalb übrigens schlucken die Gläubigen die Hostie, den mehligen Ersatz für den abstrakten Leib Christi, und trinken den Wein als flüssigen Ersatz für das abstrakte Blut Jesu. Gibt man uns die Möglichkeit, an ihm zu schnuppern, zu knabbern oder zu lecken, ist uns der unerreichbare Geist Gottes nahe.

Dies ist der erste und der einzige Grund, weswegen in der populären Ikonographie die abstrakte Heimat so oft als Mutter dargestellt wird. Daher so viele Gemälde, auf denen die Mutter/Heimat mit der Milch ihrer üppigen Brüste ihre zahlreichen Kinder ernährt. Daher die überall anzutreffenden Skulpturen, welche die Mutter Heimat darstellen. In jeder Hauptstadt jeder ehemaligen sowjetischen Republik gab es eine solche gigantische Mutter: Mutter Russland, Mutter Armenien, Mutter Georgien und so weiter. Allerdings erinnerten diese Mütter der ehemaligen sowjetischen Republiken eher an Amazonen oder, in der Sprache der Populärkultur ausgedrückt, an die Kriegerprinzessin Xena. Während wir der Heimat in der Gestalt einer kollektiven Mutter begegnen, wird der Staat meistens als Vater dargestellt. Das Ganze endet fast immer im metaphorischen Sex: in der untrennbaren Legierung von Mutter und Vater.

An der Vermenschlichung, Humanisierung oder Fami­liarisierung des nichtmenschlichen Objekts Heimat haben im Laufe der Jahrhunderte nicht nur Maler und Bildhauer, sondern auch Schriftsteller fleißig gearbeitet. Daher der Wust an Lyriktexten, in denen die Heimat gepriesen wird sowie ihre Stammväter, Gründer, Großväter, Väter, Verteidiger, Helden, Märtyrer, eine ganze Familie, angeführt von der Mutter (Motherland) und dem Vater (Fatherland), die dazu da sind, ihre Söhne und Töchter zu beschützen, zu ernähren und zu verteidigen. In der Heimatrhetorik schwören die Söhne, sie seien bereit, für die Heimat ihr Leben zu opfern. Die Aufgabe der Töchter ist es, die verwundeten Heimathelden gesundzupflegen und neue Helden zu gebären, die, wenn nötig, bereit sein werden, für die Heimat ihr Leben zu opfern.

Eins möchte ich hier klarstellen. Nicht ich bin zynisch – falls der aufgeregte Leser aufgrund des bisher Gesagten zu diesem Schluss gekommen sein sollte –, zynisch ist vielmehr das Konstrukt der Heimat. Ich weiß gut, wovon ich spreche, denn ich habe, wenn auch keine theoretische, so doch einschlägige Lebenserfahrung.

Gleich beim Eintritt in die Grundschule erteilte man mir die Heimatweihe. Dunkelblaues Röckchen, weißes Blüschen, blaue Schiffchenmütze mit rotem Stern, rotes Halstuch – das war meine Weiheuniform. Im vollen Glauben an ihren Inhalt sprach ich die heiligen Worte des Pioniereides. («Heute, da ich ein Pionier geworden bin, gebe ich mein Pionierehrenwort, dass ich fleißig lernen und arbeiten und ein guter Kamerad sein werde; dass ich meine Heimat, die Sozialistische Föderative Republik ­Jugoslawien, lieben werde; dass ich ihre Errungenschaften hüten, die Brüderlichkeit und Einigkeit pflegen…») Der Pioniergruß «Für die Heimat mit Tito! Vorwärts!», mit dem der Eid endete, war der sozialistische Ersatz für das heilige Wort Amen!

In der Tat gibt es keine größeren Patrioten, keine leidenschaftlicheren Gläubigen, keine eifrigeren Umweltschützer und keine loyaleren Konsumenten als die Kinder. Das wissen die Staatsideologen, Politiker, Priester und nicht zuletzt die Industrie. Bei Schulfesten habe ich eine ganze Latte patriotischer Verse vorgetragen, kann mich aber nicht erinnern, einen einzigen selbst verfasst zu haben.

Die Floskel, dass ich die Errungenschaften meiner Heimat wahren und die Brüderlichkeit und Einigkeit wie einen Augapfel hüten werde, blieben für immer in mein Gedächtnis eingemeißelt. Bei der jugoslawischen Hymne «Hej Sloveni» bekomme ich jedes Mal eine Gänsehaut. Ich habe sowohl die lateinische als auch die kyrillische Schrift bewältigt, ich habe slowenische, kroatische, bosnische, serbische, mazedonische, montenegrinische Volkslieder gelernt und viele Witze über die Vertreter der jugoslawischen Völker und Volksgruppen gehört. Ich lernte die Geographie, entwickelte ein Gehör für alle jugoslawischen Sprachen und Dialekte und machte mir die Überzeugung zu eigen, dass die Faschisten (immer und überall) schlechte Kerle, die Antifaschisten hingegen gute Kerle seien. Ich erlebte auch die Beerdigung Titos. Der Trauerzug war eine großartige, noch nie da gewesene Seifenoper, an der alle damaligen politischen «Spieler» beteiligt waren. Tito wurde wie ein politischer Popstar zu Grabe getragen. Alle waren gekommen, um sich vor dem Tod einer Utopie zu verneigen.

So sieht in kurzen Zügen mein erstes Heimatbündel aus. Doch meine kindlichen Gefühle gegenüber der Heimat waren gestört. Meine Mutter hatte eine andere Heimat als ich. Meine erste Begegnung mit ihrer Heimat und einer anderen Sprache – ich war damals sieben – zeigte mir die beunruhigende Möglichkeit, dass es mehrere Heimaten geben kann und dass sie ersetzbar sind. Meine Mutter hatte zwei davon, die eine, in der sie geboren und groß geworden war, die andere, für die sie sich aus Liebe entschieden hatte. Aus Liebe zu der Heimat? Nein, zu meinem Vater. Auch war ein Kind (die spätere Ich) unterwegs…

Hatte mir Jugoslawien dazu verholfen, meine jugoslawische Identität zu begründen, so haben sein Zerfall, der Krieg und meine neue kroatische Identität dazu geführt, sie auszulöschen. Die Floskel aus dem Pioniereid, wonach man die Brüderlichkeit und Einigkeit wie einen Augapfel hüten sollte, kehrte sich in ihr Gegenteil um: in eine Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt, in eine bedrohliche Schlinge, in einen Galgen, an dem viele aufgehängt wurden, in eine Peitsche, mit der man die ehemaligen Brüder geißelte, in ein silbernes Geschoss, mit dem das Vampirherz des föderativen Jugoslawien zerschmettert wurde.

Die ehemaligen Brüder beeilten sich, einander die Augen auszustechen. Die Heimatliebe offenbarte sich als ein göttliches Versprechen, man brauchte sich nur zu entscheiden, und die meisten haben die richtige Entscheidung getroffen. Alle wurden zu Patrioten. Kroate zu sein hieß, die Serben zu hassen. Serbe zu sein hieß, die Kroaten zu hassen. Für weniger Geschickte war die Heimatliebe nur eine Gewähr, den bisherigen Posten behalten zu können, den Geschickteren brachte sie enorme Vorteile. Die Heimat war eine Goldgrube, und diejenigen, die dieses Bild wörtlich begriffen, konnten sich auch handfester Gewinne erfreuen.

Aufgrund eines zum Ruhme der Heimat verfassten Verses wurde mancher über Nacht zum Botschafter, aufgrund einer öffentlichen Erklärung zum Ruhme der Heimat zum Minister. Einen Nachbarn wegen mangelnder Liebe zur Heimat anzuzeigen konnte die Vergrößerung der Wohnung, um die des Nachbarn natürlich, bewirken. Engagierte Heimatliebe bescherte denen, die sich engagierten, ­Hotels, Unternehmen, Ministersessel, Direktorenposten. Heimatliebe wurde zu klingender Münze: Für ein warmes, patriotisches Wort konnte man ganze Fabriken bekommen. Es genügte, die Hand in der Herzgegend auf die Brust zu legen, eine Träne kullern zu lassen, die Staatshymne anzustimmen, den Feind zu verdammen, und schon war man mächtig: Der eine wurde Intendant, der andere Chef eines Krankenhauses, der dritte Botschafter in Malaysia, der vierte in Washington. Aus Fröschen wurden über Nacht Prinzen.

Man begriff, dass sich eine solche Chance nur einmal bietet, und begann, die Heimat anzubeten und sie vor den Feinden zu beschützen. Mit kleinem Einsatz erzielte man großen Gewinn. Dank der magischen Kraft der Heimatliebe konnten Menschen ohne Hauptschulabschluss Universitätsprofessoren werden, öffentliche Denker, die über alles und jeden ihr Urteil abgaben, lokale Stars, begehrte Liebhaber, Eigentümer von Villen mit Swimmingpool.

Es war nicht leicht, sich der Heimatliebe zu widersetzen, sie wirkte wie Viagra. Die Heimatliebe war so etwas wie das Zauberhemd, das in den russischen Märchen den Helden vor jedem Übel bewahrt und ihm den Sieg über den Drachen, die Hand der schönen Zarentochter, das Kaiserreich und die Krone sichert. Zwar verloren manche, die des Goldes wegen die Heimatehre verteidigten, ihr Leben. Dafür wurden die Überlebenden reich belohnt. Laut den in der Presse veröffentlichten Statistiken gibt es in Kroatien 500 000 Kriegsveteranen, deren Bezüge die Durchschnittsrente um das Zehnfache übersteigen.

Ich wollte bei diesem patriotischen Goldrausch nicht mitmachen, wurde allerdings dazu auch nicht aufgefordert. Folglich habe ich auch nichts gewonnen. Im Gegenteil, meine Heimat hat mich wegen öffentlich bekundeten Mangels an Heimatliebe bestraft.

Mein drittes Heimatbündel ist leer. In ihm befindet sich außer dem Reisepass und der Steuernummer nichts. Meine neue Heimat verlangt keine Liebe von mir und verspricht mir auch keine. Bezüglich der Liebesfrage hegen wir also keine Illusionen. In letzter Zeit sollen die neuen niederländischen Staatsbürger einem bescheidenen Einweihungsritual unterzogen werden, bei dem man ihnen außer dem Pass auch eine Kartoffel aus Delfter Porzellan aushändigt. Ich bekam meinen Pass ohne die Kartoffel. Im Unterschied zu den ersten beiden habe ich mir meine neue Heimat selbst ausgesucht. Schon diese Tatsache allein ruft bei mir ein Verantwortungsgefühl hervor.

Manchmal, meist kurz vor der Landung, wenn ich den Boden meiner neuen Heimat erblicke, der sich als schmaler Streifen an das Meer schmiegt, verspüre ich eine vage Zärtlichkeit. Dann stecke ich in Gedanken meinen Finger in das Loch im Deich, um eine imaginäre Überschwemmung meiner Wahlheimat zu verhindern.

In den Wäldern Neuguineas leben die sogenannten Laubenvögel. Vor der Paarungszeit beginnen die Männchen kunstvolle Nester zu bauen, wobei sie verblüffende Phantasie beweisen. Sie bauen ihre Nester in unterschiedlichen Formen, schmücken sie mit Waldbeeren, kleinen Federn und Blättern. Jedes ist ein kleines architektonisches Meisterwerk. Wenn die Nester fertiggestellt sind, werden sie vom Weibchen begutachtet, das sich schließlich für eines entscheidet. Der so auserwählte «Architekt» bekommt damit die Genehmigung zur Paarung oder anders ausgedrückt: zum Fortbestand seiner Art. Ähnlich sollte man in einer idealen Welt mit den Heimatländern verfahren. Man sollte in jedes wie in ein Nest hineinschauen dürfen, alles abwägen und in Betracht ziehen und sich schließlich für das beste entscheiden.

Die Heimatländer sollten sich wie touristische Ziele anpreisen, was viele auch tun. So haben die Kroaten ihre Heimat zum Paradies auf Erden und zu einem kleinen Land für große Erholung erklärt. Die Reiseveranstalter lügen natürlich. Man bucht ein Fünfsternehotel und findet ein wackeliges Bett vor, eine kaputte Dusche und einen Swimmingpool, aus dem man als Souvenir einen Fußpilz mit nach Hause bringt. Viele Staaten sind schlau, sie wissen, dass die freie Wahl der Heimat ihnen schaden würde, und haben sich deshalb Gesetze, Visa, Pässe, ein ganzes System erschwerender Umstände ausgedacht, die eine freie Begutachtung und eine freie Wahl unmöglich machen. Auf diese Weise werden die Bürger vieler Staaten zu Geiseln. Auf diese Weise paart sich die Mehrzahl von uns Bürgern in dem Nest, das wir vorgefunden haben. Wir finden darin sogar unsere eigene Größe, Besonderheit, Identität, Kraft und eine ruhmreiche Geschichte: Sieh, im gleichen Nest haben sich schon unsere Urgroßeltern gepaart! Wir empfinden eine perverse Befriedigung bei dem Gedanken, dass sich in demselben Nest auch unsere Kinder paaren werden. Wir zwitschern, denken uns Legenden aus, wonach das unsere das schönste Nest der Welt ist. Wir zwingen uns und die anderen um uns herum, unser Nest zu lieben. Wir erklären die Nachbarnester für schmutzig und feindlich. Wir schmücken unser Nest mit Wappen und Fahnen, umgeben es mit Stacheldraht, entwickeln Liebe zu ihm, zwingen unsere Kinder, es zu lieben, sind bereit, dafür zu sterben.

Auf die Frage, was Kommunismus sei, antwortete ein Kind: Ich habe keinen Kommunismus, weil ich regelmäßig Milch trinke. Auf die Frage, was Heimatliebe sei, stutze ich zunächst, als wäre ich mir nicht sicher, obwohl ich die Antwort kenne: Ich habe keine Heimatliebe, weil ich regelmäßig Milch trinke.

Dubravka Ugrešic ist Schriftstellerin; sie lebt in Amsterdam.
Übersetzung aus dem Kroatischen: Mirjana und Klaus Wittmann