Liebe Mama,
dir diesen Brief zu
schreiben, fällt mir schwer. Ich starre auf eine leere Seite, die sich wie ein
Verrat anfühlen wird, wenn sie beschriftet ist.
Du warst immer für mich da,
von Anfang an. Seit 1978 als ich als Frühchen mit weniger als 1900 Gramm auf die Welt kam. Du hast dafür
gesorgt, dass ich die beste Versorgung erhalte und es in dieses Leben schaffe.
Du hast dem Hubschrauber zugesehen, der mich in eine bessere Klinik brachte, du
hast am Brutkasten gewacht und mich nach zwei Monaten stolz in mein neues Heim
getragen, wie eine kleine Trophäe.
Du bist eine der Mütter, die
man sich wünscht, die man für selbstverständlich nimmt als Kind, erst später
sieht man, dass man das große Los gezogen hat. Dass nicht jede Mutter die
aufgeschürften Knie verarztet, sondern vielleicht sagt: Stell dich nicht so an!
Nicht jede schnitzt aus
Radieschen kleine Mäuse oder malt ein lachendes Gesicht aus Ketchup auf den
Teller. So viele haben nicht das Privileg in einem sauberen Haus aufzuwachsen,
in einem eigenen Zimmer und mit dem Butterbrot in der Schultasche, das du
liebevoll geschmiert hast.
Ich weiß noch als ich Masern
hatte, du hast gesagt, die bekommen nur Kinder, die Gott sehr liebt und dass
jeder Punkt ein Kuss vom lieben Gott ist und weil dieser so mächtig ist,
brennen seine Küsse wie ein inbrünstiges Feuer.
„Wenn du dich kratzt, werden
die Engel böse und verpfeiffen dich“, sagtest du und ich habe ausgehalten
voller Gewissheit, dass ich sicher bin bei dir und dass du es am besten weißt.
Dank deiner Hilfe habe ich
es auf das Gymnasium geschafft, habe die Namen griechischer Götter gelernt,
Latein und Französisch und wenn ich mal schlechte Noten nach Hause brachte,
hast du die Nachhilfe organisiert und bezahlt. Ich habe alle Erwartungen
erfüllt, mich integriert in dieses System, ohne Ärger zu machen oder negativ
aufzufallen, so wie du es immer wolltest.
Eigentlich bist du alles, was ein Kind braucht, um stabil und gewappnet in die Wogen des Lebens zu segeln. Bei dir hatte ich keine Angst. Erst bei dir habe ich gelernt, wie Dinge richtig gemacht werden. Du hast mir Werte mitgegeben, mit mir Plätzchen gebacken und mir mein erstes Dirndl gekauft.
Auf allen alten Fotos blickt mich ein fesch geschniegeltes, zufriedenes, sauber gekleidetes und behütetes Kind an.
Auf allen alten Fotos blickt mich ein fesch geschniegeltes, zufriedenes, sauber gekleidetes und behütetes Kind an.
Und genau darin liegt mein
Problem. Ich war stets zufrieden. Es gab so wenige Momente, in denen ich
wirklich glücklich war. Du hast dein Bestes getan, aber es war nie genug. Habe
ich in den Windungen meines Gehirns, in den Synapsen meiner Mnestik zu lange
verdrängt, dass du mich nicht geboren hast? Ich wollte mich anpassen und so
sein wie du, wie deine Familie, deren Blut nicht in mir fließt. Habe ich mein
Spiegelbild verzerrt wahrgenommen? Nicht wahrhaben wollen, dass mein Haar
dunkler ist, als deines, dass die Linien meines Gesichts nicht den
Meanderfalten des deinigen gleichen?
Im Grunde kann ich dir
nichts vorwerfen und ich liebe dich auf meine Art. Es soll dir immer gut gehen,
ich wünsche dir nur das Beste, womöglich bewundere ich dich. Du bist so stark,
die ganze Welt blickt zu dir. Herrscht irgendwo eine Krise, dann bist du da,
denn du bist organisiert und intelligent. Du bist pünktlich, relativ reich im
Vergleich zu anderen. Überschwemmt ein Tsunami Thailand oder erbebt die Erde in
einem Land, das dir egal sein könnte, schickst du Geld, Helfer und Medikamente.
Du bist so gut zu mir und zu anderen.
Und doch – wieso habe ich dieses Gefühl
der Leere in mir? Manchmal...nachts, wenn ich den silbernen Mond durch meine
Vorhänge sehe. Als ob er um meine tiefe Trauer wüsste, umhüllt er sich mit
einer Wolke, um nicht meine Sehnsucht zu ertragen.
Wieso kannst du nie Fünfe
grade sein lassen? Du bist immer perfekt, du duldest keine Schwäche. Auf
Menschen, die „nur“ einen Quali oder keine Arbeit haben, blickst du verachtend
hinab. Es ist schwer, dir zu genügen. Vater hast du geheiratet, weil er die
Summe verdient, die dir so vorschwebte. Du bist kontrolliert, ich habe dich nie
lauthals lachen sehen. Ich glaube, Vater und du hattet seit Jahren keinen Sex,
wozu denn auch? Die Kinder sind gezeugt. Gefühle sind etwas für Träumer, die
bringen einen nirgendwohin, sagst du. Liebe verfliegt. Nie würdest du aus dem
Haus gehen, ohne dass die Frisur sitzt oder barfuß auf der Straße laufen. Ich
muss den Sand aus den Schuhen klopfen, bevor ich das Haus betrete, denn Ordnung
und Sauberkeit sind Tugenden und wenn ich müde bin und keine Lust zum Lernen
habe, sagst du es kommt erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Arbeit bedeutet
dir alles, wo kämen wir denn sonst hin...deine Wertarbeit wird überall
geschätzt, aber wenn es um Lebensfreude geht, dann fällt niemandem dein Name
ein. Ist es das, was du sein willst? Geht es immer nur darum, die Beste zu
sein? Du backst das beste Brot, dein Mann fährt VW, BMW, Mercedes und Audi. Du
hast Geld und strahlst Autorität aus, du stehst für Sicherheit und Kontinuität,
Vernunft, Pragmatismus. Aber in Filmen brennen Mädchen nicht mit braven, vernünftigen Männern durch, weißt du, was ich meine?
In meinen Gedanken wirst du immer die nüchterne,
nordische Blonde sein, die ihren Müll trennt und sich selbst so viele Zwänge
auferlegt hat, dass etwas wie Spontaneität nur noch eine vage Vermutung ist. Du
hast nie Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Deine weiß gestärkte Jil Sander-Bluse ist
makellos, sie knittert nicht, denn du liegst nicht untätig in ihr auf der
Couch.
Weißt du was? Ich lebe gerne
einmal in den Tag hinein, ich gehe gern einmal im Pyjama zum Bäcker, mit
offenem, wehendem Haar. Ich trage nicht immer Über- und Unterlack und
mittlerweile ist mir auch meine Arbeit nicht mehr so wichtig. Ich wünschte, ich
könnte mit meinen Freundinnen mitten unter der Woche am Gärtnerplatz
Hula-Hoop-Reifen um mich tanzen lassen, in einem Restaurant nur Desserts essen
und mir danach eine Kreolsprache beim Lagerfeuer an der Isar beibringen lassen.
Wozu fragst du? Einfach so. Ich habe deine Kontrolle satt. Deine Contenance und
deine ewige Korrektheit. Ich will zu spät zu einem Treffen kommen können, ohne
als unzuverlässig zu gelten. Ich will mein Sofa mal in die Küche stellen, ich
mag es so! Wenn ich bei 30 Grad im Schatten lieber Tiefkühlpizza esse (Nein,
nicht Bio!) und portugiesischen Fado höre, dann sei es so. Muss ich jeden
warmen Tag nutzen? Wann bist du überhaupt herzlich und warm? Im Zug von München
nach Hamburg redest du mit niemandem ein Wort. Du achtest in der S-Bahn darauf,
dich bloß nicht neben einen anderen Menschen zu setzen, wenn sonst noch Plätze
frei sind. Privatsphäre nennst du das. Ich nenne es kühl.
Es tut mir Leid, ich musste
es dir sagen. Ich bin nicht glücklich und seit ich weiß, dass du nicht meine
leibliche Mutter bist, wünschte ich eine dickliche Frau, die nach gekochtem
Essen duftet, würde mich an ihren ominösen Busen drücken und mir mit ihren
bemehlten Händen laut gackernd durch die Haare fahren. Mich aufnehmen in ihre
Familie, die warmherzige, herrlich chaotische Familie.
Aber es gibt sie nicht mehr.
Und ich kann nichts daran ändern.
Trotzdem: ich will nicht
werden wie du. Ich bin dankbar für alles, was du für mich getan hast. Du hast
mich aufgezogen wie eine Pflanze, mich umsorgt und gehegt und gepflegt, aber
warum werde ich das Gefühl nicht los, dass ich bei dir nie Blüten tragen werde?
Die eisernen Winter deines Charakters sind zu lang. Die Geheimzutat hat dir
immer gefehlt.
Alles Gute zum Muttertag
Deine Snjezana
so schön geschrieben und vielen damit aus der Seele gesprochen...
AntwortenLöschenDanke Nerminchen für das Kompliment :-) War sentimental letzte Nacht.
AntwortenLöschenach sentimental zu sein liegt uns im Blut, ich glaube wir Balkaneros sind die Großmeister der Nostalgie :-)
AntwortenLöschenLiebe Snjezana,
AntwortenLöschenseit einem Vierteljahr steht dieser Beitrag auf der Startseite Deines Blogs. Ich fände es schön, würdest ihn Du demnächst einmal durch etwas anderes ersetzen, denn ich denke, dass Du mit diesem Text niemandem einen Gefallen tust: Dir nicht, Deiner Mutter nicht und Deinem Blog - den ich sonst sehr mag - auch nicht.
Viele Grüße
Thomas (kalemegdan@odn.de)
Hallo thomas & danke für deinen kommentar. Wieso tue ich mir keinen gefallen? Du weißt schon, dass der brief nicht meiner leiblichen mutter gilt? Und mal hat man muße zu schreiben, mal nicht, aber beiträge sind schon im entwurf gespeichert u ich bin gerade in bosnien, da gibt es viel inspiration für neue beiträge. Viele grüße und danke auch für das kompliment :-)
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