29. August 2013

Welcome to Candyland

Alice fiel immer tiefer in das Loch und als sie auf einer weichen Wiese aufprallte, befand sie sich in Candyland. Die Häuser waren aus rosa und blauer Zuckerwatte. Sie hatten weiße Marmorsäulen, die sich spiralförmig in den Himmel drehten.
In einem wohnten die Schlümpfe, im anderen Miss Piggy und im dritten residierte Hulk.

Prinzessinnen wohnten in diesem Land in Häusern aus Cupcake-Teig und Ritter in Gebäuden aus Stein, die von riesigen Eisenzäunen umgeben waren.

Schlösser gab es da, die raffgierige Räuber mit dem Geld anderer bauten und Burgen mit Türmen.

Manche Häuser waren bestrichen mit dem Blut besiegter Krieger.

Alice wunderte sich sehr, denn dort wo sie herkam, gab es Bauvorschriften, Ortssatzungen und feste Regeln.

Die grimmige Königin Angela wurde sehr böse, wenn Häuser zu bunt waren. So viel Ausdruck von Fröhlichkeit und Intensität war zu viel des Guten, das verschandelt das Bild und schadet der Seriösität und das war in Angelaheim sehr wichtig.

Aber hier konnte man sein Heim gestalten, wie es einem beliebte. Zwerge sah sie im Garten, Plastikfiguren, die die Form eines Schimmels hatten oder eines Schwans. Rosen rankten sich über Wassermelonen und verwunschene Brunnen hatten eine Haube aus dunklem Holz. Außentreppen, Türme und Zinnen gab es, aufgemalte Streifen und Einfahrtstore 10 Meter hoch.
Sie sah flache Häuser, dreistöckige Häuser, runde Häuser, die aussahen wie eine Spinne mit von sich gestreckten acht Beinen (davon vergaß Alice ein Foto zu machen). Die meisten Bauten waren pfirsichfarben und rosa. Sie stellte sich vor, wie Barbie ihren Ken zwang, das von Ken erbaute Haus in Marshmallow-rosa zu streichen, obwohl Ken es lieber weiß gehabt hätte.

Manche Häuser waren so prächtig, dass dort nur Könige wohnen konnten oder Zauberer, die vor dem grausamen Krieg kein Geld hatten und es dann plötzlich aus dem Hut zauberten.

Einige Hütten waren vom niederen Volk bewohnt, das Dach war beschädigt und der Wind pfiff durch die Fenster. Sie hatten nicht einmal Geld, um die kahlen Ziegel zu bedecken und daneben prunkte immer wieder ein erhabenes Haus von Menschen, die in Angelaheim arbeiten und ab und an durch den Hasenbau nach Hause kommen, um in der Parallelwelt ihre bunten Träume zu verwirklichen, die jenseits von Gleis Neundreiviertel nicht erlaubt waren.


Seltsam, dachte Alice, durch Candyland zu wandern. Seltsam ist jedes Haus und jeder Stein. Aber hier möchte ich staunen, hier möchte ich sein.














Belgrad: Weiß, Schwarz, Grau




Als ich das letzte Mal in Belgrad war (und das erste Mal so wirklich, denn das erste Mal dauerte der Aufenthalt nur ein paar Stunden), erwartete ich irgendwie etwas Besonderes. Zu viele Lieder gibt es über Singidunum, zu viel Historie steckt in jedem Stein und jeder Mauer, zu oft habe ich Lobpreisungen auf die Reize der Belgrader Frauen gehört. Ich erwartete eine weiße Stadt (beo/bjelo,-a = weiß).
Stattdessen fuhren wir auf einen schwarzen Wall zu. Je weiter wir dem Zentrum kamen, umso schwärzer wurden die Gebäude.
Wie eine Grande Dame lag die Stadt da, alt und voller Erlebnisse und Geschichten, die einstige Schönheit bedeckt unter Ruß, Schmutz, Staub, Graffiti und einer bröckelnden Fassade.

„Das sieht aber nicht nach weiß aus“, sagte ich meinem Freund. Ich war ein wenig enttäuscht und versuchte an der Architektur der Häuser zu erahnen, wann Belgrad wohl seine Glanzzeit gehabt hatte.

Aber ganz so schlimm wie Le Corbusier fand ich es dann doch nicht. Er sagte:
Ganze zwei Tage haben wir uns von der Illusion von ihr (Belgrad) befreit, und das so endgültig und gründlich, da die Stadt tausendmal weniger definiert ist als Budapest. Wir hatten uns das Tor nach Osten vielfach ausgemalt, eine von bunter Lebhaftigkeit vibrierende Stadt und sie uns mit geschmückter und mit Federschmuck und lackierten Stiefeln ausstaffierter Kavallerie vorgestellt. Dies ist eine lächerliche Hauptstadt; sogar noch schlimmer, eine anrüchige Stadt, schmutzig und desorganisiert. Ihre Lage aber ist umwerfend.“



Ich war neugierig und hatte Zeit, die Stadt auf mich wirken zu lassen.

Aber zuerst: Auto in einer bewachten Garage parken und ordentlich dafür zahlen, denn Autos werden hier geklaut heißt es, weiß ich nicht, Wachmann war aber da und ich fragte mich, wie viel er nimmt, um beim Diebstahl ein Auge zuzudrücken? Vorurteile? Welcome to reality. Erster Fico gesichtet! Check.

Wir schliefen in der Mietwohnung einer Verwandten, die Kardiologin ist.
Der Hausflur eine Zumutung, innen eine Wohnung, die mich in alte jugoslawische Filme zurückversetzte. Viel Holz, schwere Teppiche, barocke Bilder an den Wänden und ein Hauch von Vintage. Ein Hauch von: Ich war einmal wer, heute bin ich ein Relikt einer anderen Zeit.

Frust

Die Sehenswürdigkeiten Belgrads stehen in jedem Reiseführer, ich wollte wissen, wie man denn in Belgrad so lebt und ziemlich schnell habe ich bemerkt: hier herrscht Frust und das Bild der Den-ganzen-Tag-Kaffee-trinkenden-Sorglos-Party-Generation täuscht.

Fangen wir bei der Kardiologin an. Ca. 500 Eur Gehalt (wenn es denn bezahlt wird), 300 Eur gehen drauf für die Miete, zum Sparen bleibt nichts. Im Job kommt man nur mit Vitamin B voran. Ich war mit ihr im Supermarkt und war erstaunt, wie teuer die Lebensmittel waren und wunderte mich, wie die alle über die Runden kommen.

Ihre Freundin, die Pharmazeutin Dragana, hat es geschafft, sich eine eigene kleine Wohnung zu kaufen. Leider hatte sie auf einmal kein Wasser mehr und keiner fühlte sich zuständig.
Person A schickte zu B. B sagte, A sei zuständig, aber sie könne es auch bei C versuchen. C sagte, er wisse nicht, wer zuständig sei, aber er ganz sicher nicht. Hört sich nicht schlimm an, aber wenn man jeden Tag Energien für Dinge aufwenden muss, die für uns Deutsche gar kein Problem darstellen, dann wird alles mühsam. Da sitzt man dann und versucht monatelang, das Wasser zum Laufen zu bringen, weil niemand weiß, was dann zu tun ist oder wer es tun soll und wäscht seine Wäsche per Hand in der Badewanne.



Soziologische Änderungen?

Abends in einem Cafe bekomme ich zu hören, dass es auch nicht leicht sei, normale Partner kennenzulernen. Jeder ist mit sich und seinen Problemen beschäftigt, damit ob er eine Stelle findet, ob er sein Gehalt bekommt und damit welche der unfähigen Parteien er wohl wählen soll.

Dragana sagt, die Frauen werden nicht (mehr) von Männern angesprochen, Männer gehen untereinander weg und Frauen bleiben auch meist unter sich.

So ähnlich bekomme ich die Storys auch von Virginia (ja, das ist der Name) zu hören. Eine Anspannung ist immer da. Natürlich sitzt man immer in den Cafes, aber nur weil die meisten keine Arbeit haben und dann wählt man, ob man nachmittags im Cafe sitzt oder abends, denn beides geht nicht und oft schlürft man dann den halben Tag am selben Kaffee herum oder lässt sich einladen.
Die eigenen negativen Gefühle werden durch Alkohol und durch Partys wie bei einer Übersprungshandlung verdrängt. Die Einwohner haben so viele Probleme und müssen sich mit so vielem herumärgern, dass sie sich nicht mehr entspannen können, dass sie die Zeit nicht genießen können. Sie gehen nicht an die Donau in großen Gruppen grillen und man findet kaum Menschen, mit denen man sich wirklich tiefgründiger oder unbeschwert unterhalten kann. Letztendlich werden dann doch die einen oder die anderen negativen Themen angesprochen, die wie Smog über den Köpfen der Menschen schweben. Und tatsächlich drehten sich auch meine Gespräche mit den Menschen dort um das, was sie zermürbt.

„Ta neka tenzija ili napetost je uvijek tu.“, so Virginia. (Diese Tension, diese Anspannung ist immer präsent).

Für mich ist das schwer zu glauben, wenn ich das so höre und ich glaube es immer irgendwie noch nicht und dennoch erzählen mir das viele verschiedene Menschen.

Natürlich sind nicht alle Belgrader arm und frustriert, aber Vieles ist mehr Schein als Sein. Ja, die Frauen sind so schön, dass das Wort Minderwertigkeitskomplex sich hoch drei nehmen ließe und Ja ich habe viele lachende Gesichter und Markenkleidung gesehen, die in dicken Autos herumkutschiert wird, aber das ist nicht die Gesamtbevölkerung von Belgrad. Viele der tollen Häuser stammen von Gastarbeitern, während die Daheimgebliebenen zur Miete wohnen.



BusPlus

Was die Belgrader stört, warum auch sie immer öfter protestieren, das zeigt sich an ganz einfachen Beispielen. Als Virginia bei mir in München war, war sie total aus dem Häuschen, dass ihr Ersatzbusse angeboten wurden, als die S-Bahn nicht fuhr. „Drei Menschen standen da und haben die Passagiere informiert, wo sie hinmüssen und haben ihnen noch den Weg zum Schienenersatzverkehr gezeigt! Drei! Das war so entspannt, man muss sich um nichts Sorgen machen, alles ist so geregelt! In Serbien interessiert es niemanden, ob und wie man zu einem anderen Verkehrsmittel kommt. Man ist bei so vielem auf sich alleine gestellt, der Staat bietet keine Sicherheit und keinen Halt, in nichts…alles ist unsicher und auf nichts kann man sich verlassen.“

Das Leben in Deutschland ist entspannt…aha (habe ich was verpasst???) das ist uns oft so gar nicht bewusst…
Eine israelische Freundin schwärmt auch von Deutschland.
Life in Israel is stress, sagt sie. Everything is a problem, even going from A to B.
In Deutschland kann man sich auf sein Leben konzentrieren, weil man sich nicht ständig vom Leben gestresst fühlt. Vom Job vielleicht, aber nicht vom Leben an sich.

Seit einiger Zeit kommt es in den öffentlichen Verkehrsmitteln in Belgrad zu Prügelangriffen. Im Jahr 2012 wurde ein neues Ticketsystem namens BusPlus zur Bezahlung eingeführt. Es besteht aus einer kleinen Karte, auf der persönliche Daten gespeichert werden. Jetzt habe ich immer wieder davon in den Medien gelesen, wusste aber nicht, was es damit auf sich hat. Virginia erklärte mir, dass es eigentlich nur eingeführt wurde, um mehr Profit zu machen und um Schwarzfahren einzudämmen. Das Problem ist, dass diese BusPlus-Karte von einem Unternehmen entwickelt wurde, das einen Tycoon gehört, der sein Geld auf nicht so ehrliche Weise gemacht hat und dass die Gebühren sicher nicht genutzt werden, um neue Busse zu kaufen, sie fließen höchstwahrscheinlich direkt in die Taschen des Firmeninhabers.

Früher war die Nutzung der Verkehrsmittel günstiger und nun kommt es zwischen Kontrolleuren/Busfahrern und Fahrgästen immer wieder zu Handgreiflichkeiten. Die Medien berichten täglich über Ausschreitungen. Die Busse sind meistens alt und fallen auseinander und die Menschen wollen für sie nicht auch noch zahlen.

Die Kontrolleure haben auch Angst, so dass zwar schwangere Frauen kontrolliert werden, aufgepumpte Bodybuilder, die eine Augenbraue heben, aber nicht.
Zudem werden Buslinien in Zukunft, die nicht genug Fahrgäste haben (ausgewertet anhand der Karte, die die meisten ja aber nicht kaufen wollen), ganz eingestellt, sodass die Menschen dann schwerer nach Hause bzw. in die Stadt kommen.
Ludilo.



Die größte Brücke

Dieses Jahr soll die Savebrücke über die Aga Ciganlija eröffnet werden, die auch unter scharfe Kritik geraten ist.
Allein der Bau der Brücke ohne die Zubringer kostete 119 Millionen Euro (insgesamt 450 Millionen), für dieses Geld hätte Belgrad endlich eine U-Bahn erhalten können, die den Verkehr entlastet, stattdessen werden die Autokolonnen nun mitten durch die Stadt gelenkt, weil ein Prestige-Bauprojekt hermusste. Unter elf eingereichten Vorschlägen, war diese Brücke der teuerste Entwurf. Sie umfasst sechs Fahrspuren, zwei Fußgängerwege und zwei Eisenbahnwege, für eine Metrolinie, die noch gebaut werden soll. Ein Freund sagte, dies sei die längste Schrägseilbrücke in Europa und das ist sie auch.
Ich will euch nicht mit Details nerven, aber in Serbien gibt es Gesetze, nach denen beim Brückenbau der Beton z. B. nicht wärmer als 30 °C sein darf, blöd nur, dass in ganz Serbien kein einziges Unternehmen zur Zeit der Betonausschreibung ein Kühlsystem installiert hatte und daher ausländische Unternehmen maßgeblich am Bau beteiligt waren. Wieder Gelder, die aus Serbien herausfließen, statt dort zu bleiben. Die Bevölkerung ist vom Großprojekt genervt.


Kriminell

Was aber zum größten Frust beiträgt, ist die Tatsache, dass sehr viele Politiker bekannterweise kriminell waren oder immer noch Beziehungen zu einschlägigen Kontakten pflegen, sei es dass ein Politiker mit der Zigarettenmafia unter einem Hut steckt oder korrupt ist und daraus nicht einmal einen Hehl macht.
Vor einiger Zeit wurde in Serbien Geld für ein herzkrankes Mädchen gesammelt und jeder, der ein Herz für Kinder hat, hat gespendet. Es kam über eine halbe Million Euro zusammen, die Menschen haben ihren letzten Cent gegeben. Leider verstarb das Mädchen, bevor es in die USA fliegen konnte, um behandelt zu werden.
Etwas später wurde ein Herr aufgrund illegaler Machenschaften verhaftet, er bezahlte seine Kaution von 15 Millionen Euro, ohne mit der Wimper zu zucken. Und da fragt sich der Durchschnittsserbe, wo er so viel Geld her hat und wie viel er noch hat und wieso der einem kranken Mädchen die notwendigen 800.000 Euro nicht gegeben hat. Frust.

Berühmt und verarmt

Als wir eines Abends aus einer Bar nach Hause gehen, kommen wir am Nikola Tesla-Museum vorbei und passieren einen älteren Mann, der in Gummi-Opanke vor einem Mülleimer steht und nach Verwertbarem sucht. Er lässt sich nicht stören und legt die Sachen, die er wohl verkaufen will, vor der Tonne ab. Die Schlagzeilen aus kroatischen Medien rauschen durch meinem Kopf: Rentner suchen in Mülleimern nach Essen.
Und tatsächlich bietet sich mir dieses Bild öfter und es schmerzt ein wenig. Mehr, als wenn ich in Deutschland Senioren nach Pfandflaschen suchen sehe.
Welch Ironie denke ich. Hier dieses schöne Gebäude, das dem berühmtesten Serben gewidmet ist und davor ein Mann, der Müll sammelt.

Gab´s das früher zu Yu-Zeiten?

Im Müll suchen am Nikola-Tesla-Museum


Belgrad ist dennoch eine schöne Stadt, auch wenn viele einfach keine Perspektive sehen und irgendwann resigniert das Handtuch werden und das Land verlassen.
Belgrad ist jung, es ist eine Kulturhauptstadt, man verabredet sich im Theater oder zu Konzerten, isst Falafel und Döner wie hier und besucht Szenelokale. Trotzdem wollte ich über dieses Damoklesschwert schreiben, von dem mir alle erzählen und das die Einwohner immer über sich sehen. Ich denke, ich konnte nicht ansatzweise beschreiben, was mit vermittelt wurde und ich war wirklich sehr überrascht, ich hatte wohl mein eigenes (falsches) Bild und dachte, dass so viele Jahre nach dem Krieg in Belgrad die pure Lebensfreude herrscht.

Nun gut, vielleicht ist Belgrad nicht weiß, aber es ist auch nicht immer schwarz. Sagen wir einfach grau…..