23. September 2012

Von Müsli, Pasta, Himbeeren und Schweinen

Irgendwann vor zwei, drei Jahren hörte ich auf, Fleisch zu essen.
Warum? Ich hatte zuviel gelesen.
Es gibt ein jugoslawisches Lied: Kako je lepo biti glup. (Wie schön ist es doch, dumm zu sein).
Hätte ich nicht Jonathan Safran Foers „Tiere essen“ gelesen, hätte ich nicht mich nicht mit gesunder Ernährung beschäftigt, wäre ich in diesem Punkt doof geblieben und alles wäre ok.
So wurde ich nur noch mehr zum Jugoschwabo. Ich hörte von Jugos immer wieder dieselbe Frage: A šta jedeš? (Was isst du denn dann?)
Für Jugos ist Fleischverzicht ungefähr so, als würde man einem Bayern sagen, er soll kein Bier trinken, der Italiener soll keine Pasta von Mama mehr essen und der Amerikaner keinen Burger.
Wir Jugoschwabos aus Deutschland (zumindest ich) sorgen in Ex-Yu immer wieder für Gelächter.
Einmal war ich bei meinem Onkel in Bosnien zu Besuch. Er fuhr in die nächstgelegene Stadt mit Supermarkt.
„Kann ich mit?“ fragte ich.
Šta ti treba?“ (Was brauchst du) fragte er.
„Na, du weißt schon, was zum Frühstücken.“  
„Ima ovdje svega, paradajz, kruha, sira, salame...“ (Hier gibts doch alles, Tomaten, Brot, Käse, Salami...) betont er.
„Ja tetak ich weiß....ich hätte gerne (und jetzt alle vor, die wissen, was Müsli auf Serbokroatisch heißt) žitarice i tako to.“ Ich weiß nicht was žitarice sind, aber ich dachte, naja žito ist irgendwas mit Getreide, er wirds verstehen.
Er hatte mich schon verstanden, aber meinte nur spöttisch: „Idi gore na tavan, tamo imaš zobi, to jede moj konj.“
(Geh mal rauf auf den Speicher, da gibt´s nen Haufen Hafer, den frisst mein Pferd).
Er lachte und verhöhnte mich (liebevoll), aber er nahm mich mit und der Morgen war gerettet.
Zudem hatte ich eine Packung Pasta ergattert und machte mittags Nudeln mit Tomatensauce.
Mein besagter Onkel kam nach Hause und sah uns „Kinder“ essen.
Nach einem kurzen Versuch, ihn zum Pastaessen zu bewegen, von der sich immerhin Millionen Menschen täglich ernähren, teilt er mir nur mit, dass das kein Essen sei...es fehlte das Fleisch, denn jebeš jelo koje kurac nije napravio (Scheiß auf Nahrungsmittel, die nicht biologisch gezeugt wurden..und das ist noch die jugendfreie Version :-) ).

Lange Rede kurzer Sinn..meine Cousine musste im Gefrierschrank nach dem letzten Hähnchen wühlen und es in den Ofen werfen. (Besagte Cousine wurde von ihrem „schlanken“ Papa in der Schwangerschaft aufgezogen, sie sähe aus wie ein bure na nogicama (Ein Fass auf Füßchen). Ich ♥ meinen Onkel :-) )

Das ist Jugoland. Das ist der Balkan.
Fleisch ist das Grundnahrungsmittel.
Beim Pro-Kopf-Schweinefleischverbrauch weltweit liegt Serbien auf dem zweiten Platz hinter Österreich, mich wunderts eher, dass sie nicht auf dem ersten Platz gelandet sind.

Das peČenje (aufgeschnittenes Spanferkel) darf in keinem Jugohaushalt fehlen, wenn man Gäste erwartet, denn was sollen die Leute denken, wenn man das nicht serviert. Sie könnten womöglich denken, wir seien arm...wir könnten uns kein Schwein leisten oder schlimmer: wir halten ihnen das Schwein vor!
 
 Ich weiß noch irgendwann tauchte irgendeine Schweinekrankheit in Bosnien auf, aber anstatt einfach auf das Schweinefleisch zu verzichten, brachte man es zur Untersuchung. Stellte der Experte fest, dass das Fleisch ok war, konnte man es essen.
Die Bosnier fuhren also ihre toten Schweine durch die Gegend. Ich möchte betonen, dass es mich immer sehr viel Mühe kostet, meinen Vater zu überreden, mich zum nächsten Friseur zu fahren!
Ihr wisst ja, wie es auf dem Dorf ist in Bosnien..kommt der Bus, kommt er nicht....stell dich einfach an die Straße und winke...vielleicht bleibt der Bus stehen...wenn er denn kommt.

So weit geht die Liebe zum Schwein.

Als ich noch daheim lebte, sagte ich einmal: „Naja wenn ich heirate, dann gibts auf meiner Hochzeit bestimmt keine supa, kupus salata, sarma, peČenje (Nudelsuppe, nen Krautsalat und Schweinebraten, hört sich bayrisch an, gell?). Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt schon mehr Fleisch gegessen, als meine deutschen Freundinnen bis heute, 20 Jahre später.
Vielleicht sagte mein Körper deswegen: Stopp, kein Fleisch mehr. Ich war auf zig Hochzeiten und auf jeder, ich meine buchstäblich auf jeder Hochzeit, auf jeder JUGO-Hochzeit, gibt es dasselbe Festmahl: supa, kupus salata, sarma, peČenje.

Entsetztes Schweigen und dann: A šta ce ljudi jesti? (Was sollen die Gäste dann essen?) Die werden bestimmt Hunger haben und an so einem Fisch ist doch nichts dran und dann müssen sich meine Eltern schämen und bleiben lieber ganz der Feier fern. Aber ich könnte ja pljeskavica, Ćevapčići und Co. servieren.
Es gibt ja noch die Karađorđeva šnicla, die wegen ihrer Form scherzhaft auch Mädchentraum (djevojački san) genannt wird. Ja so eine jugoslawische längliche Fleischrolle ist der Traum jeder Frau, wir dürfen uns glücklich schätzen. :-) 

Liebe Deutsche: Seid ihr auf die Hochzeit eines Jugos eingeladen, selbst wenn er ein Jugoschwabe ist, und ihr mögt kein Fleisch...ihr werdet hungrig sein, sofern ihr nicht vorher eure Sushi-Bento-Box eingepackt habt. 

Ja so sind sie die Jugos. Sie erinnern mich an die Griechin aus dem Film „My big fat Greek wedding“, als es heißt, der Verlobte isst kein Fleisch. Tante Voula: What do you mean, you don't eat no meat? [The entire room stops, in shock. We hear plates break and there are gasps.] ...That's okay, that's okay. I make lamb. (Was meinst du damit, er isst kein Fleisch? Der ganze Raum ist auf einmal still, alle ringen nach Luft....Na ist schon ok, ich mache Lamm).

So ist es auch bei meiner Mama. „Was du willst gar kein Fleisch, na komm nimm das Putenfleisch, da ist gar kein Fett dran!“

In einem Buch habe ich gesehen, dass Jugoslawien jedoch eine recht niedrige Krebsrate hatte, zumindest bei Krebsarten, die zum großen Teil ernährungsbedingt sind.
Im Grunde wiederspricht das dem hohen Fleischkonsum, denn die gesättigten Fette im Schweinefleisch sind direkt krebsauslösend. Nicht zu vergessen, dass die Eiweiße des Schweins dem des Mensch sehr ähnlich sind. Der Effekt ist ganz einfach: Iss viel Schwein, irgendwann wirst du schwammig und weich und siehst selber aus wie eins.

Aber wieso hatten die Jugos, damals zumindest eine so niedriges Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken, wo sie doch der natürliche Feind des Schweins sind (natürlich die ausgenommen, die aus religiösen Gründen kein Schwein essen)?

Das Geheimnis liegt wohl unter anderem tatsächlich im kupus und somit wäre das Rätsel gelöst, warum kupus und peČenje immer zusammen serviert werden. Kupus (also Weißkohl) gehört zu der Familie der Kreuzblütengewächse, genau so wie Rosenkohl, Brokkoli oder Blumenkohl. Die in ihm enthaltenen Senfölglykoside bekämpfen Krebszellen und können ein Tumorwachstum aufhalten. Chemotherapien wirken sogar besser, wenn man viel Kohl isst. Ähnlich verhält es sich mit den Beeren, sie wirken stark krebshemmend. Wusstet ihr, dass Serbien z. B. weltweit der größte Exporteur von Himbeeren ist? Es gibt den Tag der Himbeeren, mit der EU wird der Himbeer-Kilopreis verhandelt und seit 1870 die erste Himbeere in Serbien gepflanzt wurde, hörte man mit dem Anbau nicht mehr auf. Heute erxportiert das Land über 60.000 Tonnen Beeren im Wert von über 200 Millionen US $. Ich schätze, sie essen auch viele.

Jetzt essen Jugos aber nicht nur Krautsalat und Himbeeren gerne, sondern auch Sarma. Für diejenigen, die keine Sarma kennen:
Quelle

In den Weißkohlwickerln ist eine Mischung aus Reis und natürlich Fleisch.
Sarma ist so beliebt, dass sie eigentlich statt des Sterns früher auf die jugoslawische Flagge gemusst hätte. Wir hatten ein Fass in der Wohnung stehen, in dem ganze Weißkohlköpfe eingelegt waren, das Fass war blau und bestimmt 120 cm hoch. Was haben wir Jugoschwabo-Kinder uns geschämt, wenn das Fass geöffnet wurde und die Wohnung dann drei Tage lang nach Sauerkraut gestunken hat.
„Was, du willst zu mir kommen? Nee..du mir macht es nichts aus, S-Bahn zu fahren und dann 30 Minuten zu dir zu laufen. Nein, ach i woo...ich komm zu dir....“

Einmal musste ich doch rausrücken mit der Sprache. Ich erklärte meiner deutschen Freundin Birte, dass da Weißkohl drin ist.
„Ihr seid doch nur zu 4. Für wie viele Leute und Jahre reicht das? Esst ihr auch mal was anderes?“

Letztens habe ich meinem Freund eröffnet, der Sarma liebt: „Du pass auf, wie wäre es, wenn ich eine vegetarische Sarma mache? Oder eine mit Sojahack? Ist ja gesünder, ne.“ 
Begeisterung ist etwas anderes.
„Servier das doch deinem Vater,“ meinte er „der müsste doch mal abspecken. Wenn er so weiter isst, hat er bald seine eigene Umlaufbahn.“

Ich habe beschlossen, bald einmal Soja-Sarma zu machen und sie Hardcore-Jugo-Fleischessern zu servieren.
Wenn ich dann noch lebe, berichte ich.
 Und wer jemals etwas anderes auf einer Jugo-Hochzeit gegessen hat als supa, kupus salata, sarma, peČenje, der möge bitte kommentieren! Aber im Grunde unmöglich! :-)

Gute Nacht


Sneki
 
Man möges es kaum glauben: Sarma bez mesa
  
Ein tolles, schockierendes Buch: Iss mich nicht  

8 Kommentare :

  1. ... hat mir richtig Gusto auf sarma und pljeskavica gemacht :)

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  2. :-)
    Ein richtiger Balkanese eben!

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  3. Sad moram da se uključim u diskusiju. Ako sam dobro povezala, ti mora da si Stojankina bratićkinja. Moja mama je živjela dvije kuće od tvoje babe Jovane, a ja sam kao dijete dosta vremena provodila u vašem dvorištu i gledala tvoju tetku kako pere donji veš na ruke ;-)
    I ja sam uvijek govorila da na mojoj svadbi neće biti supa-sarma-meso, ali ispalo je baš tako. Narod bi "umro" od gladi da nije bilo toga ;-) A ja na svakoj svadbi umačem hljeb u sos od sarme i žvaćem onaj bezlično i sa ne baš mnogo ljubavi izredan kupus ;-) Tako ti je to na brdovitom Balkanu ;-) Jako lijepo i slikovito pišeš!
    Pozdrav od Žakline

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  4. Cao Žaklina, bas mi drago.

    Da Stojanka je moja rodica, sjecam se Jovane i Stojana.
    Hvala za tvoj ljepi komentar, trenutno imam puno posla, pa ne pisem redovno, ali sad jos malo pa ce odmor i onda idemo dalje.
    Znaci bilo je sarme, kupusa i Co haha...tako i ja umacem hljeb u sos, sta cu drugo :-D

    Puno pozdrava

    Sneki

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  5. Guten Abend, eigentlich wollte ich ein Rezept für Sarma finden und bin doch glatt hierauf gestoßen. Vielen Dank für diesen Blog. Hier spricht man, zumindest mir, aus der Seele. Wobei mein Gehirn das Jugo in Jugodeutsch umwandelt. z.B. fällt mir das Wort "schreiben" im Jugofluss nicht ein (Frage: Sta pises?-Was schreibst Du?) und es entsteht auf Jugodeutsch das Wort "schrajbas". Der Satz auf Jugo lautet dann: "Sta schrajbas?" Oder: Besuchen-besuhat (posjetiti), Laufen-laufasch (ides). Deutsche sind dann irritiert, weil ihnen irgendwie das Wort bekannt vor kommt. Diese eigenen Wörter des Jugodeutschen schleichen sich bei vielen Jugoschwaben, die ich kenne, ein. Daher, vielen Dank nochmal für den tollen Blog.

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  6. DAnke Brani, freut mich, dass das Geschreibsel dir gefällt:-)

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  7. Ich schmeiß mich weg bei der Übersetzung: "Scheiß auf Nahrungsmittel, die nicht biologisch gezeugt wurden." :-))))) LOL. "Ein Essen ohne Fleisch: Da fehlt doch was (O-Ton meiner Mutter) Snezana - komplett ohne Schweinefleisch.

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