21. September 2012

Sneki im (kulinarischen) Kinder-Wunderland

Wenn ich an Jugoslawien denke, dann denke ich in erster Linie an meine Kindheit.
An die Zeit, als noch alles „ok“ war und bevor das Wort Jugoslawien nur negative Konnotationen hervorrief.
Irgendwann nach Ausbruch des Krieges setzte bei mir eine Reaktion ein, von der mir auch andere Jugoschwabos berichtet haben: ich wollte mit dem Krieg, mit dem Hass und der Gewalt nichts zu tun haben. Ich war zu jung und verstand nichts von Religion, nichts von Territorien oder Politik und wusste nicht einmal, zu welcher Religion wir überhaupt gehörten, das hatte bei uns nie groß eine Rolle gespielt.
Also tat ich das Einzige, das ich damals konnte. Ich beschloss, Deutsche zu sein, denn die da unten hatten alles kaputt gemacht.
Deutschland hatte mir ein Heim gegeben, eine Ausbildung und Sicherheit, was hatte mir Jugoslawien je geboten, außer dass ich auch unten nie richtig dazugehörte. Man war immer oni iz Njemačke (Die aus Deutschland).

Ich hatte deutsche Freundinnen, fuhr wegen des Krieges mit meinen Eltern auch nicht mehr „runter“ und vermisste mein Jugoslawien/Bosnien dennoch. Irgendwo las ich letztens: „Der Zerfall Jugoslawiens ist für Handke der Zerfall dieses Raums phantasierter Kindheit und Literatur, und Serbien, als das international verfemte Bruchstück dieses alten Jugoslawiens, bewahrt für Handke eine alte Sehnsucht.“

Das war es. Ich hatte Sehnsucht.

Auch Bosnien war für Kinder ein Zauberland. Für mich zumindest.
Sobald man den Grenzübergang, das Loch zum Hasenbau, passiert hatte, befand man sich im Wunderland.
Die Häuser waren nicht mehr weiß, sondern konnten alle möglichen Farben aufweisen.
In Deutschland darfst du doch dein Gartenhäuschen nicht einmal hinstellen, wo du möchtest. Nein, es muss einen bestimmten Abstand zum Haus haben und pipapo.
Im Wunderland stehen blaue Schlumpfhäuser, rosa Barbiehäuser und Tankstellen mit farbigen, seltsamen Dachkonstruktionen. Riesige Steinlöwen bewachen die Häuseingänge von Jugos, die durch dubiose Geschäfte an Geld gekommen sind. Ich kenne mich nicht aus, aber es scheint so, als ob jeder in Ex-Jugoslawien sein Haus bepinseln kann, wie er will. Hier ein rosa Prachtstück aus Laktaši (Quelle: banjalukaforum)

Von den Deutschen höre ich immer wieder: Aber das verschandelt doch die Umgebung und das Stadtbild wird gestört. Naja, Ansichtssache :-)

Jedenfalls merkt man schnell, dass man Deutschland verlassen hat und sich nun im
Wunderland befindet, denn es gab früher viele Abenteuer zu bewältigen und wir mussten uns mit Süßem vollstopfen, das es in Deutschland nicht gab. Wäre Alice in Bosnien gewesen, hätte sie an einem Baum Smoki hängen sehen, am anderen Kiki- oder Bronhi-Bonbone. Schokolade von Kraš, die mit Milka nicht mithalten konnte (weswegen alle Jugokinder geil auf Milka waren) war nicht so beliebt wie Napolitanke (Haselnusswaffeln). Dazu gab es jede Menge Cockta, die Hundsrose enthält und laut Hersteller keine Phosphorsäure wie Cola, aber dafür wahrscheinlich 3 kg Zucker.
Cedevita haben wir auch oft getrunken. Jetzt mehren sich die Berichte, wie schädlich das Getränk ist. Aber was haben wir als Kinder wirklich geliebt? So wirklich heiß und innig? Bei mir waren es

Čokolino und Medolino. Das ist eigentlich ein Breipulver für Kleinkinder, aber wir haben den Brei immer gegessen, erst letztens habe ich mir hier in München eine Packung gekauft und genossen. Mein Freund fand es scheußlich, aber für mich ist das der Geschmack der Kindheit.
Bildquelle

Die Liste an Süßigkeiten, mit denen wir uns vollstopften ist endlos. Langnese-Eis hieß Algida und Pralinen hatte man auch immer daheim, denn jedes Mal, wenn man jemanden besuchte oder besucht wurde, wurde feierlich eine Schachtel Bajadera-Pralinen überreicht oder andere, auf denen vorne meistens eine hübsche Frau abgebildet war, nur leider schmeckten diese Pralinen nie.

Wir aßen štrudle, bananice (Schokobananen), pionir Negro-Bonbons, tulumbe, die vor Zucker nur so trieften und baklava, das noch mehr triefte. Beliebt war auch Sahnepulver, das man mit Wasser oder Milch aufschlug, die šlag pjena. Sie schmeckte süßlich und nicht so neutral wie deutsche Schlagsahne. Wen wundert´s, dass viele Kindern in Ex-Yu Zähne hatten, die wie verkohlte Stifte aussehen. Irgendwann stellte ich jemandem die Frage, ob das Kind denn nicht seine Zähne putzt. Die Antwort war: „Za šta, svejedno će ti zubi poispadati, narasti će novi“ (Wozu denn, diese Zähne fallen aus und es wachsen neue).

Unser Favorit war aber ganz klar Eurokrem. Diese helle und dunkle Schokocreme war unser Standardfrühstück. Wie oft habe ich sie auf Weißbrot gegessen oder hrenovke (Würstchen) mit Weißbrot oder pašteta natürlich mit Weißbrot. Gott sei Dank wusste ich damals nichts über leere Kohlenhydrate und die Wirkung gesättigter Fette auf die Denkleistung. Hätte ich nur gesunde Sachen gegessen, meine Güte, ich hätte mein Potenzial nutzen können und hätte meinen Doktortitel erreicht. Ich darf meinem 10-jährigen Sohn nicht einmal eine Milchschnitte einpacken, weil ich sonst die Unmutter des Jahres bin.

Morgens weckte uns der Duft von Minas-Kaffee und der Durst wurde mit Radenksa oder Knjaz Miloš gestillt.
Meine Mama machte oft diese kleinen uštipke (oder uštipci) das sind Hefe-Küchlein, die in Fett ausgebacken werden und dann mit Zucker bestreut oder mit Käse gegessen werden. Die meisten sind rund und kugelig, die meiner Mama waren flach und köstlich mit Marmelade. Again: ich hätte mit Vollkorn und Käse wohl mehr reißen können :-)

Aber wir haben nicht nur Ungesundes gegessen. Ex-Jugoslawien ist für mich sozusagen die Wiege der Bio-Lebensmittel, wie so viele andere Länder auch. Tomaten werden nicht gekauft, sie wachsen hinter dem eigenen Haus zusammen mit Kartoffeln, Bohnen und kupus (Weißkohl). Zu vielem wurde Ajvar serviert und es wurde immer frisch gekocht oder zumindest ein Schwein geschlachtet und stundelang am Feuer gedreht. Es gab keine Maggitütchen oder Cremefine.

Ich freute mich das ganze Jahr über auf die riesigen Tomaten, die ganz knorrig und verschrumpelt aussahen, aber wenn man sie aufschnitt, fand man festes Fleisch und kein Wasser.

Die Wassermelonen, der bostan, wurde haufenweise auf Pferdekarren am Straßenrand verkauft und schmeckte herrlich süß. So süß wird eine Mini-Wassermelone aus dem Edeka nie schmecken. Einmal saß ich mit meinem Papa draußen hinter dem Haus, das Schwein drehte sich am Spieß, das Feuer loderte und der bostan wurde auch geschlachtet. Rate mal, was das ist sagte Papa, der Herrscher über die 3-Zimmerwohung auf jugoslawischem Staatsgebiet: „Puna škola đaka, nigdje nema vrata“ (Die gesamte Schule ist voller Schüler, aber es gibt keine Tür). Ich wusste es nicht. Der bostan war die Schule, und die Schüler waren die Kerne.

Im Wald wuchsen Walderdbeeren, die viel kleiner sind, als die Erdbeeren hier und auch viel süßer. Wir pflückten uns die Finger wund, bis wir in einem Eimerchen genug gesammelt hatten.
Um das Haus meines Onkels herum wucherten Himbeer- und Brombeersträuche. Die Trauben hingen schwer und dunkel-lila von den hölzernen Konstruktionen, die man eigens für sie gebaut hatte. Unter den Traubenblättern entstand ein kleiner Platz mit Tisch und Stühlen, an dem man der sengenden Mittagshitze entfliehen konnte. Wir drückten die Traube meistens direkt aus der Hand aus der Schale und in den Mund.

Wundersame Quitten wuchsen in unserem Garten, sie hatten diesen weichen Flaum und dufteten, weshalb bei uns oben auf dem Wohnzimmerschrank einige Zeit lang Quitten lagerten. Es gab Quittenmarmelade, Rosen- und Holundersirup und frische Maiskolben, die auch mal schnell aus dem Feld des Nachbarn „eingekauft“ wurden.

Ich erinnere mich an Maulbeeren, die wir aus Deutschland nicht kannten. Sie schmecken himmlisch.


Meine Oma hatte früher eine Kuh und eine der Erinnerungen, die mir von ihr bleibt, ist, dass ich ihr beim Kühe melken zusah. Sie nahm die Zitzen in die Hand, machte diese typische Handbewegung und drückte die Milch in den Eimer. Sie schäumte und war noch warm. Diesen Geschmack kann man niemals mit dem der verarbeiteten H-Milch vergleichen. Es war eine andere Welt, eine Zauberwelt.
Oma Draginja spritze mir einmal die Milch direkt in den Mund, weil ich so bettelte. Sie sagte, man müsse sie erst abkochen, aber ich bestand darauf, denn nichts sollte den Geschmack trüben. Die Kühe standen meist auf der Weide und aßen frisches Gras, ihre Milch enthält daher viel mehr Omega-3-Fettsäuren, genauso wie die Eier. Wisst ihr wie ein Kuchen aussieht, denn man mit den Eiern jugoslawischer Hühner gebacken hat? Er ist gelb. Nicht weiß, nicht beige. Richtig gelb.

Fehlte nur, dass man vom Kuchen abbiss und wie Alice in die Höhe schoss oder schrumpfte.
Ich traute dem Kuchen alles zu...

Kiki und Co 

Alte Zeiten....




9 Kommentare :

  1. War gestern beim Türken, die haben Maulbeermarmelade! Und vieles mehr vom Balkan.

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  2. Hallo Sneki,

    bin zufällig auf die Seite gestossen. Hast du echt toll gemacht. Weckt ganz viele Erinnerungen... und genau so war es...
    Ich kaufe immer beim DEJA MARKT in Feldlmoching ein. Schau mal rein.
    Pozdrav
    Sanja

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  3. Hallo Sanja,

    danke dir. Freut mich:-)
    Deja kenne ich gar nicht. Muss ich mal hin!

    Lieben Gruß

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  4. Sneki nisi sama posjeti nas na Link:
    https://www.facebook.com/pages/Urban-Balkan-Club-Munich/173349086134420

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  5. Urban Balkan Club: yeay! Bin schon dabei!

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  6. Darf ich fragen, welcher Türke ums Eck? :)

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  7. Es war ein Türke in Haar, hab vergessen, wie er heißt. Direkt am Praktiker (wo früher OBI war) in der Nähe.

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  8. Du sprichst mir aus der seele. Ich finde das man Jugoslavien schlecht geredet hat. Es war vielleicht nicht alles perfekt, aber welches lad ist das. Wir können aber alle sagen das wir keine angst haben mussten wir waren ,als Jugos, weltweit anerkannt und gern gesehen, konnten uns eu weit ,ohne Visum, frei bewegen, standen wirtschaftlich besser als die heutigen Lender und jetzt. BiH gibt es als staat nur auf dem Papier, verdienst, was ist das. Eine Putzfrau in Deutschland verdient mehr als ein Arzt in BiH, ich weis es mein Rodo ist einer. Naja alles vorbei. Ich sage heute noch wen mich jemand fragt wacher ich stamm ich komme aus ehemalig Jugoslavien. Meine heimat ist ,sozusagen, mit dem krieg gestorben.
    Ich muss ehrlich sagen das das die beste zeit meines Lebens war bevor ich meine frau kennengelernt habe und meine Tochter zu Welt gekommen ist und nachdem wir auch unsere zweite bekommen haben
    ist Jugo... eine schöne Erinnerung und die alten Bekanntschaften aus der zeit.

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