4. Oktober 2012

Jugoslawien lebt!



Eigentlich wollte ich über Guča schreiben, da ich finde, dass das Festival ganz gut zum Oktoberfest passt, auf dem ja auch Blaskappellen spielen, aber die Themen ergeben sich dann doch anders.

Heute habe ich es geschafft, in einem Forum gesperrt zu werden, weil dem Moderator das Wort „jugo“ im Blognamen Jugoschwabo nicht passte. Zudem wurde mir mehrmals gesagt: „Jugoslawien gibt es nicht mehr.“ Verdammt – ich habe für meinen Urlaub gerade mein gesamtes Erspartes in Dinar gewechselt.
Da ich ja nun gesperrt bin, kann ich den genauen Wortlaut nicht nachvollziehen, aber Herr Kristijan K. warf mir vor, ein totalitäres Regime zu unterstützen, ein System, das Hunderttausende Menschen auf dem Gewissen hat.
Wie könnte ich es wagen, den roten Stern auf eine deutsche Flagge zu setzen, was ich mir dabei gedacht hätte?
Er empfindet das Wort „jugo“ als persönliche Beleidigung und benutzte das Wort „Hass“.
Um ehrlich zu sein, hatte ich mit so einer Reaktion nicht gerechnet.
Für mich steht das Wort für das alte Jugoslawien, für eines, in dem es noch keinen Krieg gab.
Mir wurde vorgeworfen, ich sei jugonostalgisch und wie ich jetzt weiß, ist das zumindest in dieser Forumsgruppe nicht erwünscht.
Auf meinen Einwand, dass die deutschen ja auch Millionen von Menschen auf dem Gewissen haben, und ob ich denn nun auch keine deutsche Flagge schwenken darf, wurde nicht eingangen.
Was hatte Herrn K. so rasend gemacht? Natürlich weiß ich wenig, viel zu wenig über die Geschichte dieses Landes, aber mir war nicht klar, dass vier kleine Buchstaben eine so heftige Reaktion auslösen können.
Ja ich hatte sie gespürt, eine leichte Anwandlung von Jugoslawien-Nostalgie, aber war das etwas Falsches? In einem serbienbezogenen Forum gab es keine Reaktionen, in diesem von Kroaten besuchten Forum folgte mein Rausschmiss schneller nego što si reko keks (schneller als du Keks sagen kannst).
Ich startete eine Umfrage.
Bist du Ex-Yu-nostalgisch? Die Antwort der meisten Kroaten war: Nein.
Die Antwort der meisten Serben lautete: Ja oder Etwas.
Lag es also daran? Ich begann zu recherchieren. War die Jugonostalgie ein serbisches Phänomen.
Was ich dann aber entdeckte, überraschte mich.
Das kleine Land Slowenien schwelgt seit Jahren in der Vergangenheit und im Titoismus.
Belgrad verzeichnet Besucherrekorde aus Slowenien, besonders zum Jahreswechsel strömen unzählige Touristen in die Stadt, um die Rudimente der SFRJ (Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien) aufzusaugen. Der slowenische Journalist, Soziologe und Politiker Dimitrij Rupelj äußert seine Verwunderung über die slowenische Nostalgie.
Auch immer mehr junge Slowenen pilgern nach Belgrad und wandeln im blauen Zug auf Titos Spuren, sie tragen Partisanenmützen und besuchen an Titos Todestag den 4. Mai sein Mausoleum im Haus der Blumen (kuća cveća).

Aber es gibt auch kroatische Nostalgiker, wie dieser Film zeigt:




Die Vorwürfe an Yu-Nostalgiker und generell alle I love Yu-Anhänger lauten:



·           Tito war ein Diktator und es herrschte eine Parteidiktatur
·           Die verschiedenen Völker wurden in einem politischen Multikulti-Staat künstlich durch Gewalt  zusammengehalten
·           Minderheitenforderungen wurden nicht geduldet
·           Das Ausleben der eigenen Nationalität war untersagt
·           Staatsfeinde und Kritiker wurden entmachtet und ermordet
·          Tito ist schuld an den Jugoslawienkriegen, da er Nationen in einem Staat zusammengefasst hat, der nach seinem Tod zwangsläufig auseinanderbrechen musste. Die nationalistischen Bestrebungen konnten nach 1980 endlich zum Tragen kommen und zogen den Krieg nach sich, mit dessen Folgen die Nachfolgestaaten heute noch zu kämpfen haben und die Hunderttausende Menschen das Leben gekostet haben
·           Tito ließ die Gastarbeiter ziehen und tat nichts, um sie im Land zu halten, deswegen sind sie heimatlos in der ganzen Welt verstreut (Ja, dieses Argument habe ich tatsächlich gehört).  
·          Das Jugoslawien unter Tito nahm den Kroaten fast  die gesamten Tourismuseinnahmen, die nach Belgrad flossen, den Kroaten blieb so gut wie nichts, sie fühlten sich ausgenutzt. Wieso sollte ihr Geld zur Unterstützung wirtschaftlich schwächerer Republiken verwendet werden.



 Die Nostalgiker entgegnen:


·          Uns ging es vor dem Krieg gut
·          Wir waren alle gleich
·          Wir hatten Arbeit und konnten ganz gut leben
·          Wir hatten ein Recht auf Bildung und Gesundheitsversorgung (1974 hatte    Jugoslawien die meisten weiblichen Hochschulabsolventen europaweit, weltweit belegte das Land den 5. Platz)
·           Wir hatten nicht alles, aber wir hatten alles, was wir brauchten
·           Wir konnten reisen, wohin wir wollten
·           Jugoslawien war ein blockfreier Staat, selbstbewusst und renommiert
·           Jugoslawien war unter Tito der einzige Staat, der sich selbst von der deutschen, nationalsozialistischen Belagerung befreite. Tito bot Stalin und Hitler die Stirn und muss man nicht denjenigen verehren, der das Land vor Hitler beschützte? Hatte nicht Tito die Cohones in der Hose, die vielen fehlten?
·           Seit 1974 war es jeder Teilrepublik laut Verfassung erlaubt, den Staatenbund Jugoslawien auf Wunsch zu verlassen, zudem wurden in diesem Jahr weitere Autonomierechte gewährt, daher bestand seit diesem Jahr kein Zwang, im Staatenbund zu bleiben
·           Tito ließ die Gastarbeiter ziehen und verringerte so die Arbeitslosigkeit im eigenen Land und sicherte Jugoslawien den Zufluss an Devisen
·           Wir waren wer in der Welt, heute sind wir nichts
·           In Jugoslawien herrschte ein liberaler Kommunismus, die Medien wurden größtenteils nicht zensiert, Kritik war einige Zeit lang sogar erwünscht. Jazz wurde beispielsweise in allen sozialistischen Staaten als Rebellion verstanden und war daher verboten, in Jugoslawien war er genau wie Rockmusik erlaubt.
·           Viele verschiedenen Völker lebten friedlich zusammen


Wahrscheinlich ließe sich diese Liste ewig weiterführen, aber die Lager sind tief gespalten.

Ernesto aus einer Yu Nostalgija-Gruppe auf Facebook sagt:„pitaju me...odakle si? ja jim kažem...iz Jugoslavije...oni kažu...ali Jugoslavije više nema...ja jim odgovorim...znam da više nema ali ja ipak dolazim iz nje. Meni i svim ostalim koji smo ili su rođeni u Jugoslaviji priše u rojstnom listu...Jugoslavija...to se ne može izbrisati...ja sam rođen u Jugoslaviji...a republike su bile sustave jedne lepe zemlje“ (Sie fragen mich, woher ich komme, ich sage aus Jugoslawien und sie sagen: Aber Jugoslawien gibt es nicht mehr und ich antworte: Ja ich weiß, aber ich komme dennoch aus diesem Land. In meiner Geburtsurkunde und in den Urkunden aller, die in Jugoslawien geboren sind steht Jugoslawien, das kann man nicht ausradieren, ich bin dort geboren und die einzelnen Republiken waren Teil eines wunderschönen Landes.)
Ernesto ist in Kroatien geboren und lebt seitdem in Slowenien. Er sagt er sei Jugoslawe und ein Staatsbürger Sloweniens.
Mirsada sagt:„Evo ja sam rođena u Makedoniji, odrasla u Bosni, sada živim u Srbiji, šta bih ja trebala da budem?“ (Ich bin in Makedonien geboren, in Bosnien aufgewachsen und lebe jetzt in Serbien, was soll ich denn sonst sein als Jugoslawin?)
Und tatsächlich: Was ist mit den Kindern aus Mischehen, in denen die Eltern aus unterschiedlichen Republiken kommen oder unterschiedliche Religionen haben?
War alles schlecht früher? War Vieles besser? Sind Jugo-Nostalgiker vergleichbar mit Anhängern der DDR? Idealisieren Sie den Kommunismus?
Herrscht um Josip Broz Tito, den Charismatiker, ein ähnlicher Personenkult wie um Fidel Castro oder Che Guevara?
Anscheinend.
In speziell auf die Yu-Nostalgie spezialisierten Reisebüros in Belgrad kann man sogar Events mit Tito-Doubles buchen und sich von einem Chor „Druže Tito mi ti se kunemo“ vortragen lassen. Ja früher war man stolz auf sein Land, worauf soll man heute stolz sein, auf den Krieg? Auf den Nationalismus? Auf den Hass?

Es herrscht ein Schmerz, den den Jugoslawen niemand nehmen kann. Eine schwermütige Wehmut, die mit der Zeit nur stärker wird und die viele gebrochen hat. Die Heimat, sie ist weg, verloren für immer und man selbst wurde nicht gefragt. Im Grunde kann man die Nostalgie so am besten beschreiben: was die Politiker und Nationalisten machen, ist eine Sache, was viele in der Bevölkerung wollen und dass sie die anderen Nationen immer noch als Brüder sehen, eine andere.

In einem Forum schreibt Jugovich: „Diese Jugo-Nostalgie ist noch ein kleines und empfindliches Pflänzchen welches sich über die nächsten Jahre und Jahrzehnte mit viel Verständnis, Toleranz und in die Zukunft gerichtetem Blick zu einem starken Baum entwickeln könnte.
Vielleicht kommen ja langsam die Menschen dort unten zur Vernunft und sehen, dass es damals gemeinsam, trotz oder vielleicht gerade wegen dem etwas freiheitlicheren Sozialismus, doch viel besser war als heute, wo jeder der Nachfolgestaaten für sich alleine ist mit seinen Problemen.
Nicht Jugoslawien als Idee oder Staat war schuld an dem Bürgerkrieg, sondern psychopathisches Gesindel wie Miloševic oder Tudjman und ihre Schergen welche als Kriegstreiber in die Geschichte eingegangen sind. Da waren aber leider auch große Teile der Bevölkerung auf beiden Seiten welche auf die gleichen Propagandatricks reingefallen sind wie sie auch Hitler und Göbbels anwandten. Die versöhnlichen Stimmen, welche es auf jeder Seite gab wollte leider niemand hören.“

Ein anderer sagt: „Dann sagt nochmal jemand dass Slowenen Anti-Jugoslawen sind.
Scheiß auf die Drecks-EU, wir wollen nur Jugoslawien wieder, womit wir auch stärker wären als die EU.
Übrigens hoffe ich stark dass sich unser Land bald wiedervereinigt.“

Nur ein Gehirnamputierter hofft, dass sich das Land wiedervereinigt bekommt er als Antwort, wohingegen auch andere Stimmen laut werden:
„Genau das Gleiche wurde immer über die Wiedervereinigung Deutschlands gesagt.
Just als die SPD 1988 das Ziel auf eine Wiedervereinigung der beiden Deutschen Staaten hinzuarbeiten als Parteiziel aufgegeben hatte (weil man sich einig war, dass eine Wiedervereinigung unrealistisch wäre), stand die Wende und die Wiedervereinigung vor der Tür.“


Radmila Blickenstorfer aus der Schweiz sagt: „Dass Jugoslawien auseinander gefallen ist, kann ich heute noch nicht akzeptieren. […] Für mich ist es in meinem Kopf
und in meinem Herzen noch immer so: Menschen, die aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien kommen, sind meine Landsleute. Ob sie das wollen oder nicht, ist ihre Sache, aber sie sind es für mich. Ich bin nach wie vor Jugoslawin, Nostalgie-Jugoslawin.“ Quelle

Die Jugo-Nostalgie ist also da. Sie ist ein länder-, kultur- und religionsübergreifendes Phänomen, dem sich sogar die New York Times widmet, Wikipedia oder die FAZ.

Haben Jugoslawiens Einwohner einfach zu sehr gelitten? Hat der Krieg ihnen alles oder so viel genommen, dass sie aufgrund des Traumas in einer Welt leben, in der noch alles heil war? Selbst wenn es schon Spannungen gab?

Ja politisch und geographisch gibt es die SFRJ nicht mehr, aber die Sprache verbindet, die Geschichte und die vielen Gemeinsamkeiten. Gehen nicht Serben, Kroaten, Slowenen, Montenegriner und Makedonier zusammen auf Balkan-Partys? Schustern sie sich nicht beim Eurovision Song Contest nicht immer gegenseitig Punkte zu?
Hören Sie nicht Interpreten der „anderen“ Länder?

Jugoslawien ist Geschichte, sagte man mir. Das ist nur was für Pathetiker. Pazi nigdje više patetike nego na Balkanu (nirgends gibt´s mehr Pathetik als auf dem Balkan) verteidigte man mich.

Es entstand etwas Neues. Die „Jugosphäre“. Sie umfasst das Gebiet von Ex-Yu und steht für die gesellschaftliche starke Verflechtung der Ex-Republiken.
Vielleicht sind dies genau jene Menschen, die den Krieg nie wollten und ich wollte ihn auch nicht. Vielleicht träumen sie davon, wie es anders hätte laufen können....

Jugoslawien ist tot, es lebe Jugoslawien!




4 Kommentare :

  1. Ich hoffe,ich erlebe noch eine Wiedervereinigung,bis zu meinem Tod

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  2. du sprichst mir aus den Herzen..

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  3. Einfach der Name des Landes bringt Gänsehaut! Das Land war einfach die Nummer 1 auf der Welt, doch das passte der EU und USA nicht. Für den Zerfall der SFR Jugoslawien sind alleine diese beiden Seiten verantwortlich. Es herrschte Eifersucht und kein anderes Land hatte in so kurzer Zeit nach dem Krieg so viel Gemeinschaft und Aufschwung wie JUGOSLAVIJA! Und ja, echt cooler Text und ich hoffe selbst ich werde bald meinen serbischen Pass los, und erhalte einen jugoslawischen Pass erhalten mit 6 Fackeln!

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