Soll ich nur die Bilder
wirken lassen? Soll ich etwas dazu sagen? Brauche ich einen pseudobetroffenen
Text, triefend vor Empathie, obwohl der Krieg seit ca. 20 Jahren vorbei ist?
Bin ich denn betroffen? Kann ich mich hineinversetzen in die Lage? Darf ich überhaupt
etwas zum Krieg sagen oder würde ich alle beleidigen, die ihn miterleben
mussten?
Ich habe mich für einen Text
entschieden, entschieden, dass ich etwas über Joe Saccos Buch schreiben darf.
Nein, ich weiß nicht, wie sich Traumata anfühlen, die durch Kriege entstehen
und die eigene Seele in einen Abgrund reißen, aber ich kann es mir vorstellen.
Ein wenig.
Es muss 1993 oder 1994
gewesen sein, als ich im Auto meines Vaters saß, das mitten auf einer Brücke in
Brcko stand, über die am Himmel helle Granatenblitze zuckten. Aus irgendeinem
Grund hatten meine Eltern beschlossen, während des Krieges nach Bosnien zu
fahren. Sei es, dass sie ihre Familie vermissten und zeigen wollten: ich habe
dich nicht vergessen, sei es, dass sie ihr Haus sehen wollten oder das, was man
nicht begreifen kann – die Auflösung der Heimat. Den Fall des starken und
schönen Landes.
Damals befand sich Brcko in
einem engen Korridor und links und rechts hatten die „anderen“ Stellung
bezogen, um den schmalen Durchgang vom Rest des serbisch dominierten Gebietes
abzuschneiden. Ich hatte in meinem Leben noch nie so eine markdurchdringende
Angst. Jedes Mal, wenn uns ein Auto mit deutschen Kennzeichen entgegenkam,
bettelte ich meinen Vater an, aussteigen zu dürfen, um zurückzufahren.
Einige Tage später saßen wir
bei meiner Tante auf dem Sofa und dieses Geräusch der fliegenden Granaten
zerriss den Himmel. Ich zuckte und war innerlich erstarrt, aber meine Tante
erklärte mir, diese Granate sei ganz weit weg. Sie war zur Expertin geworden,
sie konnte einschätzen, wie weit entfernt von ihrem Haus das Geschoss einschlagen
würde. An mehr erinnere ich mich nicht, aber an diese Furcht.
Also male ich mir aus, wie
es in Gorazde gewesen sein muss und die Comicreportage „Bosnien“ (auf engl.
Safe area Gorazde) von Joe Sacco liefert die Bilder dazu.
Innerhalb von ein paar
Stunden haben sowohl ich als auch mein Freund das Buch verschlungen.
Normalerweise lese ich keine Literatur über den Krieg. Ab und zu sehe ich mir
Reportagen an, aber ich meide trockene Bücher, in denen jeder Schritt jeder
Partei über die gesamten Jahre dokumentiert wird.
Aber diese Reportage liest sich wirklich runter, nimmt einen durch die vielen Bilder sofort gefangen und zeigt, wie das Leben in der Enklave Gorazde war. Sacco erhebt keinen Vollständigkeitsanspruch, wie er schreibt, aber er verbrachte als Journalist selbst viel Zeit in dieser belagerten Stadt und hielt in diesem Buch seine eigenen Eindrücke fest, die er durch etwas Geschichte und die Erläuterungen seines Freundes Edin ergänzt hat.
Ich habe wirklich versucht,
mich auf die Story einzulassen. Denn wie ist es doch so schön: in den
Nachrichten wird über ein Erdbeben berichtet und über zahlreiche Tote, aber man
zuckt mit den Schultern, war halt jetzt so, und weiter geht’s. Das wollte ich
mit diesem Buch nicht machen. Ich wollte aber, wie ich geschrieben habe, auch
nicht pathetisch werden und mit dem erhobenen Zeigefinger sagen: böser Krieg,
um dann in Depressionen zu versinken. Dem Buch gelingt meiner Meinung nach
diese Gratwanderung. Dadurch, dass die Bilder gezeichnet sind, gewinnt man die
nötige Distanz, aber da die Ereignisse sich nun einmal zugetragen haben,
treffen sie emotional dennoch.
Vielleicht möchte ich
deswegen nichts über den Krieg lesen, muss ich denn abgetrennte Köpfe sehen? Es
wurde ja nicht einfach Krieg geführt und die Genfer Konventionen wurden
beachtet, vielmehr scheint es, als habe der Krieg die Tore zu den abartigen
Abgründen menschlicher Seelen aufgestoßen. Ich kann nicht einfach etwas lesen oder sehen, ohne zu denken: „Die haben das wirklich getan. Das ist real. Die Frau verbrachte wirklich neun Stunden im eisigen Fluss, weil sie Angst um ihr Leben hatte und das war nicht im letzten Jahrhundert.“ Manchmal erzählt mir meine Cousine, was ihr Vater an der Front erlebt hat und wie Frauen ihre Kinder in Flüsse warfen und ertrinken ließen, nur damit sie nicht gequält werden und dann bleibe ich immer sprachlos zurück und schäme mich einmal mehr für das gesamte ex-jugoslawische Volk.
Diese Gräueltaten
kann man in „Bosnien“ wie durch einen schützenden Filter betrachten, auch wenn
sie nicht im Mittelpunkt stehen und nur stellenweise vorkommen.
Jemand hat auf Facebook
geschrieben, teils hätte das Buch Schwächen, da Milosevic beispielsweise als
alleiniger Schuldiger dargestellt würde. Mag sein, ich finde aber, dass Sacco neutral bleibt, es wenigstens versucht und einfach die Situation in Gorazde beobachtet hat.
Während der Lektüre lernt man viel und erfährt, wie der Alltag in dieser Ausnahmesituation aussieht.
Ich für meinen Teil wusste nicht einmal, wo Gorazde liegt oder, dass während des Krieges Clubs dennoch ab und an geöffnet hatten, Rakija floß in Strömen, junge Frauen wünschten sich trotz der Nahrungsmittelknappheit eine neue Levi´s 501 (wie seltsam die menschliche Psyche doch ist) und in all der Grausamkeit, gab es noch Menschlichkeit:
Während der Lektüre lernt man viel und erfährt, wie der Alltag in dieser Ausnahmesituation aussieht.
Ich für meinen Teil wusste nicht einmal, wo Gorazde liegt oder, dass während des Krieges Clubs dennoch ab und an geöffnet hatten, Rakija floß in Strömen, junge Frauen wünschten sich trotz der Nahrungsmittelknappheit eine neue Levi´s 501 (wie seltsam die menschliche Psyche doch ist) und in all der Grausamkeit, gab es noch Menschlichkeit:
Die Geschichte endet mit dem Frieden, fast hätte ich gesagt: wie alle guten Geschichten...
Aber, was war am Krieg schon gut?
Peace, oh oh yeay yeay, I
love you more than I can say.
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P. S. Diesen Post widme ich
meinen Eltern, die ausgewandert sind und mich so unwissenderweise davor bewahrt
haben, diesen Irrsinn miterleben zu müssen und den glücklichen Umständen, dass
niemand aus meiner Familie durch den Krieg sterben musste.
Dankbar.
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