17. Januar 2013

Wer bin ich und wenn ja, wie viele?



Im Dezember war ich in Italien.
Wir fuhren eine kurvige Bergstraße hinab, das Wetter war kalt und grau und in den Bergen lag Schnee.

Ich war in Gedanken versunken, eingelullt durch die Wärme im Auto.
Ich warf nur einen flüchtigen Blick nach vorne durch die Scheibe und nach der nächsten Biegung lag er da – der See. So wunderschön, glitzernd und ruhig, gesäumt von Zypressen, die plötzlich von der Sonne beschienen wurden.

Auf einer kleinen Insel im See stand eine Villa wie aus einem Märchen, Schwäne schwammen auf dem Wasser.
An den Berghängen war der Boden komplett von Weinreben bevölkert, die ihren Winterschlaf hielten.

Die Szenerie hätte getrost genau so auf eine idyllische, verwunschene Postkarte gepasst.
Alles sah so friedlich aus und ich war glücklich, in einem meiner Lieblingsländer zu sein.
Und dann fiel mir auf, dass ich so nie an Bosnien dachte.

Als ich noch ein Kind war, freute ich mich immer wahnsinnig auf die Sommerferien und wenn ich den ribnjak (Fischteich) sah, wusste ich, ich bin gleich daheim.

Doch heute? Es kommt mir vor, als ob ich lieber eine andere Staatsangehörigkeit hätte.
Hätte der liebe Gott mich vorher gefragt: Na du, wo willst du denn hin, hm? Ich hätte nicht lange überlegen müssen: Tolle Schuhe, tolles Wetter, Pasta, das Meer, die Sprache, die Mode, die tausende Jahre alte Geschichte, Opern…(die Mafia und Berlusconi klammern wir mal aus ;-) ): ich wäre Italienerin geworden.

Manche Menschen kommen ja im falschen Körper zur Welt, kann es so etwas nicht auch bei Nationalitäten geben?
Ich kenne Leute, die aus Bosnien sind und dann aber sagen, sie seien Kroaten oder Serben, aber das ist wieder eine andere Geschichte. Ich habe stets gesagt: Ich bin aus Bosnien.

Und dann tut mir Bosnien aber Leid. Ex-Jugoslawien allgemein.

Die Länder haben seit dem Zerfall selbst mit ihrer Identität zu kämpfen und obwohl es innerhalb Jugoslawiens immer Spannungen gab, kam der Krieg für die internationale Politik überraschend.

Plötzlich war man nicht mehr ein „WIR“, sondern ein „wir“ und „die anderen“.
Man war nicht mehr Jugoslawe, nicht mehr Kommunist und die Religion schien auf einmal (wieder) wirklich wichtig zu sein und ein mächtiges Abgrenzungsmittel und wie oben beschrieben: Manche Bosnier bezeichneten sich selbst nicht mehr als selbige, so groß war die Kluft auf einmal.

Ich weiß nicht einmal mehr, welche Sprache ich spreche, aber das ist auch wirklich ein Thema für sich.

Aber ich bin aus Bosnien, Italien hin oder her. Man kann´s nicht ändern. Oft überwiegt einfach die Wut über das, was in diesem Land passiert ist. Ist es eine Art Scham, dass ausgerechnet in „meinem“ Land so ein schlimmer Krieg wüten musste? Stehen wir jetzt nicht allesamt als Barbaren und primitive Völkermörder da, weil wir es im 20. Jahrhundert geschafft haben, den schlimmsten Krieg in Europa nach dem 2. Weltkrieg zu führen? Wieso sollte ich mich mit so etwas identifizieren? Und dieser Krieg ist so furchtbar, so prägend für die Region, dass er trotzdem stets wie ein Damoklesschwert über einem schwebt, auch wenn es genug andere Themen bezüglich Ex-Yu gibt.

Bist du Serbe/Kroate/Bosnier/Makedonier was auch immer, trägst du einen Stempel auf der Stirn, auf dem steht: in Ex-Yu war Krieg und die Auswirkungen sind auch heute präsent.
Hinsichtlich meines Zugehörigkeitsgefühls kam erschwerend hinzu, dass ich während des Krieges und auch danach nur wenig Beweggründe gesehen habe, mich in die „Heimat“ zu begeben. Aber habe ich mich ernsthaft für meine Herkunft geschämt: Nein, habe ich nie. Seit dem Krieg war aber definitiv ein Einbruch da und das Interesse an Ex-Yu war nur bedingt vorhanden, erst in den letzten Jahren kam es langsam wieder hoch, denn man kann von seinen Wurzeln nun einmal nicht weglaufen.

Daher auch die Auseinandersetzung in diesem Blog.

(Und nicht nur ich befasse mich damit. Auch Ana findet es schade, irgendwie niemals richig Deutsche zu sein. Besucht ihren Blog Hallo Jugoslawien)

Das Thema Identität ist nur so schwer, so unglaublich schwer, komplex und rechercheintensiv.

Ich habe gelernt, dass es verschiedene Identitäten gibt, mit meiner persönlichen Identität habe ich auch keine Probleme. Ich bin Snjezana, so und so viel Jahre alt, mag das und das und bin von Beruf dieses und jenes. Soweit so gut.

Was aber ist mit der kulturellen und sozialen Identität, um die geht es eigentlich.
Das Wort Identität ist vom Lateinischen „Idem“ abgeleitet, was so viel wie „derselbe“ oder „der Gleiche“ bedeutet.
Sind wir Jugos denn alle gleich?

Wo sitze ich denn mit meiner kulturellen Identität? Wieder zwischen den Stühlen? Und ohne jetzt noch viel überlegen zu müssen, sage ich ja! Ein Hybrid auf immer und ewig, was nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein muss. Dennoch kann ich mich schwer dazu durchringen, es als einen Idealzustand zu bezeichnen.

Viele Migranten fühlen sich so. Viele Mexikaner, die in den USA leben, bezeichnen sich selbst oft als „chicanos“. Sie nennen sich also nicht US-Amerikaner oder Mexikaner, sondern sie haben einen anderen Begriff gefunden. 

Es gibt verschiedene Stufen der Assimilation von American, Latin American bis hin zum chicano und Mexican.

Dabei hängt es, wie ich gelesen habe, stark davon ab, wie gut jemand seine Muttersprache bzw. die Muttersprache seiner Eltern spricht und damit wird ein Punkt aufgeworfen, über den ich mir nie so im Klaren war, da ich immer Deutsch konnte, habe ich darüber nicht viel nachgedacht.

Je besser ein Migrant oder Migrantenkind die Sprache der neuen Heimat spricht, umso schwächer ist die emotionale Bindung an das Herkunftsland und somit das Gefühl der kulturellen Zwiespältigkeit.

Andererseits kann es zu einem Verlustgefühl kommen, wenn man nicht zweisprachig aufwächst:



Kann gut sein, natürlich haben meine Eltern einen ganz anderen Bezug zu Deutschland und zu Bosnien als ich und tatsächlich ist jemand umso mehr ein Schwabo, je schlechter er Serbokroatisch spricht, während diejenigen, die die neue Sprache kaum beherrschen, sich immer als Ausländer und Minderheit und als außerhalb der Gesellschaft fühlen werden. Migranten, die nach dem 15./16. Lebensjahr nach Deutschland gekommen sind und gerade so die Grenze überschritten haben, um Deutsch jemals auf Muttersprache-Niveau sprechen zu können, fühlen sich größtenteils auch nicht Deutsch und werden es nie und auch viele, die hier geboren wurden nicht, aber sie fühlen sich nicht so fremd.

Ich habe einige gefragt, was sie denn nun seien und wo ihre Heimat ist.
Viele haben gesagt, ich wohne in Deutschland, aber meine Heimat ist unten.
Viele sagten, beide Länder seien die Heimat aber so gut wie niemand sagte: Deutschland ist meine alleinige Heimat.
Wiederum andere konstatierten nur: Heimat ist da, wo man sich wohl fühlt.
Im Allgemeinen kenne ich nur wenige bis gar keine Jugos, die beim Fussball oder beim Eurovision Song Contest für Deutschland anrufen, selbst wenn sie einen deutschen Pass haben.

Keine Solidarität mit Mutter Deutschland.

Ich habe eine Freundin, die eine tolle Mischung aus deutschen, iranischen, hawaiianischen und ich glaube philippinischen Genen ist, sie hat für mich seltsamerweise keine Probleme damit, sich das Gesicht in Schwarz-Rot-Gold anzumalen, wenn Deutschland Fussball spielt oder sich in ihrer Wahlheimat New York immer wieder in ein fesches Dirndl zu werfen.
Liegt es daran, dass sie nicht zweisprachig aufgewachsen ist, sondern nur mit Deutsch?
Von Identitätsproblemen keine Spur, nicht einmal jetzt, nachdem sie auch "emigriert" ist.

Fehlt den meisten Jugo-Migranten eine tiefere Bindung zu Deutschland, weil sie wirklich davon ausgingen, dass sie spätestens nach ein paar Jahren wieder daheim sein würden?
(Kann man sich überhaupt an einem Ort daheim fühlen, an dem man nicht aufgewachsen ist? Und wo fühlt sich die 2. Generation daheim?)

Viele haben nicht gut Deutsch gelernt und blieben unter sich, es bildeten sich so genannte ethnische Kolonien, die eine Einheit für sich waren. Man half sich gegenseitig, man war in der gleichen Situation und konnte die Gefühle des anderen nachvollziehen. Außerdem habe ich von einigen auch eine gewisse Verbitterung gehört: „Deutschland beutet uns doch nur aus, wir machen die Drecksarbeit, die die Deutschen nicht machen wollen. Dann kommen wir nach Jahren in die Rente und sind körperlich kaputt.“

Bei anderen wiederum sehe ich eine Art der Unsicherheit, vor allem bei älteren Menschen.
Sie haben Respekt vor den Deutschen, kuschen regelrecht, wollen nicht auffallen und nur ihre Arbeit machen. Sie fügen sich freiwillig in eine niedrigere Stufe der Hackordnung und haben als ungelernte Kräfte gar nicht das nötige Selbstbewusstsein, um sich ebenbürtig und damit integriert zu fühlen.

Selbst wenn die Deutschen dieses Bild gar nicht hatten (Fremdbild), hatten es viele Jugos sehr wohl (Selbstbild).
Aber wenn man mit einem Bündel Markscheinen nach Ex-Yu an die Adria fuhr, dann war man wer.
Abgesehen von der Arbeitsmigration, von der unsere Eltern betroffen waren, gibt es auch eine Transmigration. Migranten pendeln zwischen verschiedenen Ländern und haben sozusagen zwei Wohnorte.

Da Jugoslawien nicht so weit von Deutschland (vor allem Bayern), Österreich und der Schweiz weg lag, war es für viele gang und gäbe jedes Wochenende oder jedes zweite in die Heimat zu fahren.

Sie mussten sich nie von ihrer Herkunftskultur lange räumlich trennen wie Jugos, die z. B. nach Chicago ausgewandert sind, aber dafür haben diese einen starken Zusammenhalt, um ihre Kultur gegen allzuviel US-amerikanischen Einfluss zu „schützen“.

Generell wird einem Jugokind immer vermittelt, dass es stolz sein muss, dass sein Herkunftsland das beste und schönste der Welt sei und sowieso stammten alle bedeutenden Menschen der Weltgeschichte oder Erfinder aus Ex-Yu. 

Diesen Bann und die Verehrung dann in Deutschland zu brechen oder sich dem zu entziehen ist sehr schwer und ich denke, es gibt nur wenige, die sagen: Ich bin Deutsch.
Ich kann das, wie man in anderen Posts gesehen hat, auch nicht von mir behaupten, aber eine „Jugo“ bin ich nicht mehr, die deutschen Einflüsse sind zu stark und die Grenzen von einem zum anderen sind fließend. Im Grunde habe ich mich damit abgefunden beides zu sein, so wie jemand dessen Mutter Deutsche ist und dessen Vater sagen wir Franzose. 

Dennoch haben trotz einer gewissen Abgrenzung  laut meiner Recherche die meisten Jugos keinen direkten Rassismus erfahren, zumindest in der 2. Generation und abgesehen davon, dass kein Germane meinen Namen richtig aussprechen kann, muss ich sagen, dass ich auch nie welche erlebt habe, was es natürlich einfacher macht, sich zugehörig zu fühlen. 
Fühle ich oft eher Deutsch, weil meine Sprachbarriere im Serbokroatischen liegt? Weil ich nicht weiß, was „Gesinnung“ auf Jugo heißt? Generell sind Jugos sehr gut integriert und nahezu unsichtbar!

In vielen Telefonzellen gab es nicht einmal eine Beschriftung auf Jugo, lange dachte ich: „Ok, denken die jeder Jugo kann so gut Deutsch?“, aber dann erfuhr ich in einem Buch von Rüdiger Rossig (Hallo Rüdiger), dass sie sich nur nicht auf eine Sprache oder Bezeichnung einigen konnten. Wieder Zwist.

Die Migrationssoziologie sagt, dass die berufliche Qualifikation die Identität von Migranten beeinflusst. Kurz gefasst: Je höher die Bildung und Qualifikation, umso weniger Probleme hat der Betreffende, sich von der Bindung an einen Nationalstaat zu lösen und umso erfolgreicher kann er seine multiple Identität einsetzen.

Da die meisten Jugo-Migranten aber nicht hochqualifiziert waren, empfanden sie das Neue auch aufgrund der Sprachbarriere immer als fremd. Sie definierten sich oder definieren sich über ihre Zugehörigkeit zu einem Land, während sich höher Qualifizierte über ihre Leistung definieren und dazu beitragen, dass die allgemeine Identifizierung mit Staaten abnimmt.
(Was jetzt nicht heißen soll, dass alle ungebildet sind, die in Ex-Yu ihre Heimat sehen.)

Generell war oder ist der Zusammenhalt der Jugos (nach wie vor) stark, auch wenn der Krieg zu Feindbildern geführt hat. Es passiert oft, dass man z. B. in der S-Bahn Serbokroatisch spricht und wenn es verstanden wird, schaltet der andere sich in das Gespräch ein, weil er ja „nas“ ist, also zu „uns“ gehört. Es schwebt immer so im Raum: Ich bin „nas“, also hilf mir oder finde mich gefälligst sympathisch, ich gehöre zu „deinen“ Leuten.
Jugendliche treffen sich dann auf den bekannten Balkan- oder Jugoparties, erschaffen sich so ihre „peer group“ und ihr Klein-Jugoslawien. 
Ich weiß noch, wie ich auf den ersten Shljiva-Parties war. Tausende Menschen wollten hinein und feierten alle zusammen, als ob es den Krieg nie gegeben hätte und niemand fragt dort, „was“ du bist.

Ich habe einen Test im Internet gemacht. Sind Sie Deutscher?

Das ist das Ergebnis:

Ein typischer Deutscher sind Sie nicht. Sie sind eher verschiedenen Typen zuzuordnen. Mal gehen Sie es etwas gemächlicher an, mal bevorzugen Sie klare Regeln. Vielleicht gehört gerade dieses Wechselhafte zu Ihrer Lebensphilosophie und gibt eine vernünftige Mischung im Leben. 

Wechselhaftigkeit? Ja, ein Jugoschwabo eben und es ist ok, sich aus beiden Kulturen das Beste anzueignen und zu genießen.

Interessante Arbeit: Identitätsbildung von Migrantenkindern 

Auszug aus obiger Arbeit von Andrea Kirstein:





LG

Sneki





2 Kommentare :

  1. Seeeehr treffend muss ich sagen. Ich lebe zwar nicht in Deutschland, bin in der Schweiz beheimatet, aber finde ich, dass egal wo man ist diese Konflikte enstehen. Wir stehen im Zwiespalt.
    Ach und, deine Ausdrucksweise gefällt mir :)

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  2. Hi Unbekanne(r),

    danke für das Lob!
    :-)
    LG

    Snjezana

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