Es ist Herbst.
Unbestreitbar.
Eine Bekannte postete bei Facebook: „Der
Erste, der ein Herbstlaub-Foto mit Bildunterschrift „Indian Summer“ online
stellt, kriegt eine geschallert!“
Ich
kann sie verstehen…
Aber
wenn es kälter wird, dann ändert sich meine Stimmung und wohl auch der
Musikgeschmack.
Ich
sehe mich dann durch den German Indian Summer laufen. Vielleicht nieselt es ein
wenig und ich ziehe meinen Schal fester zu.
Meine
Gedanken kreisen um eine elegante Hotelbar, in der ich einmal saß.
Wuchtige
dunkelbraune Ledersessel, edle Hölzer, schwere Gardinen, ein Teppich, in dem
Absätze zentimetertief versinken und ein dickwandiges, geschliffenes Kristallglas
mit altem Whiskey. Golden, glänzend. Und immer spielt an solchen Orten leise
ein einlullender Jazz. An solchen Orten, die ein wenig an Hemingway oder den
großen Gatsby erinnern, kann man nicht Katy Perry hören, ohne dass es
vollkommen deplatziert wäre.
Früher
war ich von Jazz genervt. Er war mir zu unruhig und tüdelditü und tada, keine
Melodie, alles durcheinander, der Rhythmus hinkt hinterher, dann rennt er der
Melodie wieder davon, alles Absicht, alles schon richtig so, aber zu wirr für
mich und unruhig. Eine schreckliche Musik. Vor allem Bebop. Bei Amazon gibt es
sogar eine CD „Ich mag keinen Jazz, aber das gefällt mir“ oder so ähnlich. Und
dann dieser Typ in Sex and the City Staffel 4, Ray King. Er nervte sogar Carrie
mit seiner Hyperaktivität und seinem Jazz-Gedudel, so dass sie die Beziehung
beenden musste.
Wie
ein kleiner Duracel-Hase auf Speed, dachte ich.
Aber
die Titelmelodie von SATC ist auch eine Form von Jazz und zwar Latin Jazz
komponiert von Douglas Cuomo und das hörte sich dann gar nicht einmal so
schlecht an. Ein wenig Bossa Nova-like. Und jeder mag doch zumindest das Girl
from Ipanema.
Ich weiß
auch nicht genau wie und wann und wo, aber schließlich bin ich beim Jazz
gelandet und da er wahnsinnig viele verschiedene Stile umfasst, kann man nicht
sagen: Ich mag keinen Jazz. Ursprünglich entwickelte er sich in den Südstaaten
der USA aus Musik der versklavten Afrikaner und erfreute sich bald großer
Beliebtheit.
Ich
wusste auch, dass es in Jugoslawien eine Jazzszene gegeben hatte. Jazz wurde
nicht als Rebellion verstanden wie in anderen kommunistischen Ländern, trotzdem
war ich verwundert, als ich entdeckte, dass einer der berühmtesten
Jazz-Trompeter überhaupt aus Bosnien stammt. Sein Name ist Duško Gojković, er
wurde 1931 in Jajce geboren. Was für eine Ironie, wo ich doch geschrieben habe
in einem der ersten Posts, dass ich keine Ahnung habe, wo Jajce liegt.
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Besagter
Herr wanderte ziemlich früh nach Deutschland aus, da er seine Musikkarriere
vorantreiben wollte und lustigerweise lebt er heute noch immer in Deutschland in der Nähe von München,
also ein Jugoschwabo.
Er
hatte mit 16 jemanden Jazztrompete spielen gehört, sich in die Musik verliebt
und anschließend war er entschlossen mit seiner Trompete nach Belgrad in die
Musikschule gegangen. Mit 24 folgte dann die Emigration, er spielt in Frankfurt
bei den Frankfurt All Stars und unter anderem bei Max Greger. Mein Papa hatte
Max Greger-Schallplatten daheim, an die erinnere ich mich, ob er Duško kannte?
Ihr kennt sicherlich noch diese riesigen Audio-Racks, die fast 1,20 m hoch
waren. Ganz oben konnte man Platten abspielen und weiter unten Kassetten. Ich
glaube, mein Papa versteht immer noch nicht, wieso aus einem kleinen, weißen
Rechteck so gute Musik kommen kann und gerade fällt mir ein, dass meine Mama
die DVD anfangs immer zurückspulen wollte, bevor wir sie zurück in die
Videothek bringen, weil sich der Verleiher sonst aufregt.
Naja,
auf jeden Fall eine der Jazzgrößen, Stan Getz, ermutigte Mister G nach New York
zu gehen, was Duško auch tat. Dizzy Gillespie nahm ihn unter seine Fittiche
und gab ihm das nötige Selbstbewusstsein.
Aus
einen Interview: „Wenn ich mit
Dizzy spielte, dachte ich immer nur: Was hab ich für ein Glück, New York ist
voll von fantastischen schwarzen Trompetern, und dann kommt einer vom Balkan
und will auch noch mitmachen! Aber Dizzy sagte nur: Ich hab dich gehört. Ich
weiß, was ich meine. Du bist gut.“
Und er ist gut. Er mag
langsame Lieder, komponiert viel selbst und hat mit der Zeit seine Nische
gefunden. Alle hatten ihm stets versichert: „You have to be original.“ So fing
er an, Ethnoklänge aus der Heimat einfließen zu lassen und heute gilt er als
der Urvater und Erfinder der Stilrichtung Balkanjazz, der fusion of Balkan
music, die dem Jazz ein wenig Jugoleben einhaucht.
Eines der berühmtesten Werke
dieser Richtung ist wohl Samba Tzigane.
Vor circa zwei Wochen trat
der inzwischen 81-jährige Altmeister in der Nähe von München auf. Das kleine
Dörchen heißt Dießen, ich hatte Karten reserviert und kämpfte mich durch den
ersten Schnee knapp 50 km in das gottverlassene Nest, um Duško live spielen zu hören. Er war früher einmal Leiter des
Landesjugendorchesters im Bereich Jazz und einer seiner Exschüler hatte ihn in
einen kleinen Gasthof eingeladen.
Ich
komme also hin und hebe den Alterdurchschnitt schlagartig um 30 Jahre. Ich
übertreibe nicht, wenn ich sage, dass dort fast nur ältere Menschen saßen,
lauter Sepp Obermaiers und Reserls Hinterdupfingers. Ich frage mich, ob sie
alle wissen, dass heute Jazz gespielt wird oder ob sie mit den Wildecker
Herzbuben rechnen?
Vor
mir sitzen zwei Damen, eine älter als die andere.
Die
70-jährige sagt: „Wos isn da los haid?“ (Was ist da heute los? Jetzt müssen
sogar die Bayern wie bei Bauer sucht Frau untertitelt werden...)
Die
50-jährige antwortet: „Mama, die spuin a Musi.“ (Mama, die spielen Musik.)
70-jährige:
„Wos spiun die dann nachad? Volksmusik?“ (Was spielen die denn, Volksmusik?)
50-jährige:
„Na, da stehts doch aufm Zettel, die spuin Jatz!“ (Da steht´s doch auf dem
Zettel, die spielen Jatz!"
70-jährige:
„Wos is des?“ (Was ist das denn?)
50-jährige:
„Mei Mama, du hast koa Ahnung ned, des is wos ganz Modernes aus Bosnien.“
(Mutter,
du hast ja keine Ahnung, das ist was Modernes aus Bosnien.)
Ich
lache und dann kommt Duško auf die Bühne, sieht keinen Tag älter aus als 61 und ich
denke, dass er bestimmt nicht raucht und trinkt. Das hindert ihn nicht daran,
in jeder Pause rauszugehen zum Rauchen und sich ein Glas Wein zu bestellen und später auch noch einen fettigen Schweinebraten zu verdrücken. Ich hätte es wissen müssen, ein Mann vom Balkan und das Schwein. Eine Liebe für immer!
In den Pausen erzählt von der Drogensucht Chet Bakers und von der gemeinsamen US-Tour, die per Zug absolviert wurde. Chet war meistens so drauf, dass er nicht einmal wusste, in welcher Stadt er gerade spielte und dann Duško fragte. „Wir sind in Cinicinnati.“ sagt er dann oder „Wir sind in Chicago.“
„Hey Duško, you should try this stuff, I am so happy, I can hear birds singing and I see angels`eyes.“
„No thanks“, hatte Duško erwidert, „I prefer to play Angel eyes.“
An
einer Wand hängt ein Bild vom Märchenkönig Ludwig II., der gute alte Kini. Er
sieht genau auf Duško herab, der eine
Liebesbeziehung zu seiner Trompete hat. Er setzt ihr einen Dämpfer auf und
spielt so wunderbar weich und melancholisch, dass alle Bayern ganz verzückt
sind. Kini scheint zu lächeln und dann sehe ich, warum Mister G wohl so jung
aussieht. Er liebt das, was er tut. Ich sehe, wie der die Augen schließt und
seine Trompete umarmt und seine Wange an sie drückt, während er eine Pause
macht und alle anderen spielen. Er scheint, sie zu liebkosen wie eine Frau. Ich
habe gelesen, dass er einen Schlüssel vom Bayrischen Hof hat und jeden Tag
hinmarschiert, um auch nach über 60 Jahren noch täglich zu üben, wenn er nicht
gerade wieder einmal in Japan oder Italien auf Tournee ist.
Denkt
er an seine Heimat, wenn er „Bosna Calling“ spielt oder die „Melodia
Sentimental“?
Was
bewegte ihn zum Stück „Ballad for Belgrade“ oder „Macedonia“?
Vermisst
er den Balkan? So vieles würde ich ihn gerne fragen, aber er fängt an,
schnellere Stücke zu spielen, wenn er aussetzt, übernehmen das Klavier, das
Schlagzeug oder das Bass-Saxophon und wenn er wieder einsetzt, springen die
Bayer regelrecht von den Stühlen und klatschen begeistert um ihr Leben.
„Des is so guad des aus Bosnien!“ sagt eine
der Resis...
Und
Kini
lächelt immer noch auf den Mann aus Jajce herab (Jajce heißt übrigens
kleines Ei, vielleicht wäre ich als Mann auch aus dem kleinen Ei
weggegangen).
Interview mit Dusko Gojkovic
Mein Lieblingslied mit Lounge-Feeling: Every day and every night I dream of you
Macedonia:
The nights of Skopje:
Ballad for Belgrade:
Bosna calling:
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