18. Februar 2013

Der Stresshase und die Kakao-Kuh – back to the roots



Kennt ihr den Hasen aus Alice im Wunderland, der immer Hektik verbreitet, weil er immer zu spät dran ist?

Er hat eine Uhr und ist ständig auf dem Weg, ich weiß schon gar nicht mehr wohin, aber er ist sozusagen der Vorgänger des Duracell-Hasens..trči ko navijen tamo vamo. 



Fakt ist, so fühle ich mich fast jeden Tag. Ich gehe auch nicht zur Arbeit, ich renne und viele sagen mir dann: Geh bitte langsamer, wieso rennst du denn so. Ich weiß nicht, ob es euch auch so geht, ich schätze mal ja, zumindest wenn ihr arbeitet und Kinder habt.

Das Gefühl, dass der Tag einfach zu wenige Stunden hat, ist stets präsent.
Deutschland ist zwar nicht Tokio, da stelle ich es mir schlimm vor und auch nicht New York, aber dennoch ist Deutschland Stress. Der Stern berichtet darüber, der Spiegel druckt „Dick durch Stress“ auf die Titelseite und alle brauchen eine Time-Out wegen Burn-Out.

Ich habe immer gedacht, dass ich sehr stress-resistent bin, aber ich merke, dass dem nicht ganz so ist. Ich sehe nur Termine, Termine, Termine und dann kommt das schlechte Gewissen, wenn etwas mal nicht so perfekt ist, wie es sein sollte, denn als Mutter setzt man sich selber wohl unter den größten Druck von allen. Das Kind muss geschniegelt sein, die Wohnung, der Job will getan werden und man selbst möchte auch nicht wie aus der Gosse gezogen oder wie Courtney Love aussehen. Dabei gibt es diesen Spruch: Ne možemo oboje izgledati savršeno, biraj ili kuća ili ja! (Wir können nicht beide perfekt aussehen, wähle: entweder das Haus oder ich!)

Haben wir vom Balkan aber eine andere innere Uhr? Oder besser gesagt die Menschen, die am Balkan leben, denn man passt sich ja immer den neuen Lebensumständen an.

Um spätestens 9 Uhr morgens sitzt die Deutsche mit Unter- und Überlack auf den Nägeln, gepuderten Wangen und einer eingetragenen Pilates-Stunde um 18:00 Uhr im Büro, wenn die Bosnier in der kafana sitzen, wo man sie um 11 Uhr immer noch findet. Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben keinen Bosnier hektisch hantieren gesehen. Die haben die Ruhe weg! Komme ich heut nicht, komm ich morgen.  

Ja, Ex-Yu ist anders. Ich habe mal im europäischen Patentamt gearbeitet und musste öfter mal mit den Jugos telefonieren. Ich wette, es ist leichter Obama ans Telefon zu bekommen, als einen arbeitenden Bosanac: „Dobar dan, da…da ovo je hotel XY…da, rezervišete? Da kolega evo otišao na kafu. Nazovite kasnije.“ (Guten Tag, Hotel XY. Ach Sie wollen reservieren? Ja, der Kollege ist beim Kaffee, rufen Sie doch später an...klack.)
Muss ich also auch zurück zu den Wurzeln? Ist Stress rein geographisch gesehen gegen meine Natur?


Wenn es mich mal wieder erwischt und ein Kunde Jobs asap (as soon as possible) haben möchte, dann beschwöre ich meine bosnischen Gene: werdet aktiv…slow down……atme durch! Ich wünsche mich an Orte, an denen es grün ist und gemütlich. Es gibt dort kein Internet, keine iphones, keine U-Bahn, keine vollen Läden, keine Hochhäuser, keinen Lärm und kein Neonlicht.

Ich träume von dichtem Dschungel und dass Kolibris vor meinem Fenster umherfliegen.
So wie von der Mashpi Lodge in Ecuador:

www.mashpilodge.com

Und dazu will ich diese Klänge hören: Regenwald

Dann fällt mir wieder Bosna ein. Die Zeit ist dort auch für mich eine andere. Die Bosanci haben meine Geduld bis auf´s Äußerste strapaziert, aber sie schaffen es, dass ich irgendwann aufgebe und denke: Ok, po-la-ko. Lang-sam. Denn ein Bosnier kann stur sein...hetz ihn bloß nicht!

Ja, auch Bosnien kann Zen und langsam sein, entschleunigen und heilen.

Ich esse Obst und Gemüse in bester Bioqualität, atme frische Luft und schlafe wie ein Baby. Ich sehe mich schon Tomaten in unserem Garten pflanzen und Kartoffelkäfer einsammeln, ein Szenario, das mir noch vor 5 Jahren absurd vorkam, weil ich auch der Meinung war, dass alles unter einer Million Einwohner praktisch auf der Karte nicht exisitiert. So ist das, wenn man jung ist und Clubs lebensnotwendig sind.

Ich habe gelacht, wenn mir früher ein ultrareicher Senior mit Toupet erzählt hat Zeit sei der größte Luxus. Ist sie.

Und dann sah ich diesen Bericht im Fernsehen!
Man muss nicht nach Ecuador in die Mashpi Lodge fahren und auch wenn man keine Verwandten auf dem Balkan hat, gibt es eine Möglichkeit, wieder mit der Natur in Kontakt zu kommen und z. B. sein Essen selber anzubauen.

Es gibt eine Organisation, die sich „World Wide Opportunities on Organic Farms“ (kurz WWOOF) nennt. Sie bringt freiwillige Helfer und Ökobauern zusammen, die ein wenig Hilfe benötigen. Der Helfer erhält für seine Hilfe am Hof kein Geld, dafür aber freie Kost und Logis und außerdem sammelt er wertvolle Erfahrung und Kenntnisse.

Ihr werdet es nicht glauben, aber ich habe eine Dame im Büro gesehen, die in unserer Küche tatsächlich ihr Ei mit einer Smartphone-App gekocht hat. Ich bin keine von der Fraktion: Frauen an den Herd..aber wenn man/frau nicht mal ein Ei ohne App kochen kann? Dann stimmt etwas nicht. Wenn Kinder denken weiße Milch kommt von weißen Kühen und Kakao aus braunen Kühen?

Kurzum ich halte WWOOF für wirklich wertvoll und kann es kaum erwarten, meinen Sohn auch mal auf´s Land zu schicken, damit das Leben von einer anderen Seite kennenlernt. Natürlich kennt er Bosnien, da musste er aber noch nie auch nur eine Pflaume hochheben. Am liebsten würde ich selbst hin, vielleicht mache ich das, denn bei vielen Familien sind Kinder willkommen, sie müssen nicht arbeiten und vielleicht sagt mein Mini-Jugoschwabo dann nicht mehr „hocem, necem“.

WWOOF gibt es auch in Serbien, in Bosnien und Kroatien anscheinend nicht.

Das Paar, das ich im TV gesehen habe, war nicht einmal vom Balkan, sondern aus Holland und Deutschland denke ich. Es hat das Bio-Potenzial der Region erkannt und versorgt sich nahezu komplett selbst und baut Gemüsesorten an, die schon in Vergessenheit geraten sind.

Alte Menschen bitten um Hilfe, wie eine 78-jährige Frau, die die Arbeit nicht mehr alleine schafft.

Die Menschen kamen teilweise aus den USA und anderen Ländern zurück, um wieder auf dem Land zu leben.

Sie betreuen Waisen, bieten auf dem Land Therapien an oder wollen schlicht der Stadt den Rücken kehren. Sie bauen Gemüse an, Gewürze wie Oregano an und Thymian, Wacholder oder Minze. Haben Aprikosen-, Walnuss oder Pflaumenbäume. Sie verkaufen die Produkte an Firmen oder auf dem Markt.

Man kann pflanzen, ernten, säen, Schweine füttern, Obst sammeln, beim Kochen und Backen helfen, Körner mahlen oder Kühe melken und sich abends in das Heu fallen lassen, so wie es unsere Eltern getan haben.

Man kann in einer Welt leben, in der wirklich gelebt wird und nicht über PCs, Laptops und Fernseher, in einer Welt, in der es wirkliche Tiere gibt und nicht welche aus Farmville, in der es kein Facebook gibt, kein asap, keine Termine auf die Minute, in der eine Maniküre nicht wichtig ist und auch nicht das Label der Handtasche. Könnte ICH überhaupt überleben auf einem Hof im Notfall? Angenommen Zombies wüten in der Stadt wie in schlechten Hollywoodfilmen...wüsste ich überhaupt, wann ich die Karotte oder Kartoffel aus der Erde ziehen kann? Könnte ich eine Kuh melken, ohne dass sie mich mit dem Huf erschlägt? Bin ich ein Opfer der ach so gemütlichen und alles wird mir serviert-Welt?

Meine Eltern sind vom Land und ich weiß nicht einmal, wie viel Eier ein Huhn am Tag legen kann. Ich lebe ein anderes Leben, als meine Eltern.

Wir könnten alle helfen und dazu beitragen, dass die kleinen Höfe überleben. (Wie wird das nur in der EU eines Tages, werden dann alle lokalen Produkte verdrängt?).

Die Frage ist nur: Wer hilft wem? Brauchen wir alle nicht ein wenig po-la-ko und Natur?

http://www.wwoofserbia.org/ 






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